Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
schnell ein roter Pick-up aus der Straße herausgeschossen und hielt so ruckartig neben meinem Wagen an, daß der Kies aufspritzte, und die kleinen Steinchen gegen mein Auto platterten. Der Mann im gelben Ölmantel, schon auf dem Weg zu seinem Fahrzeug, winkte Willis zu, ohne anzuhalten.
Willis sprang aus seinem Wagen, sandte Jack Strout einen kurzen Blick hinterher, sah dann mich an.
»Na, was gibt’s?« Seine Stimme klang atemlos.
»Wieso?« fragte ich.
»Na, was hat Jack denn hier zu suchen?«
Ich fand die Frage ziemlich merkwürdig.
»Ich hatte eine Reifenpanne«, erklärte ich. »Er hat gesehen, wie ich versucht habe, den Reifen zu wechseln, und hat mir geholfen.«
»Aha.«
Er nahm aus der Packung in seiner Jackentasche eine Zigarette und steckte sie sich zwischen die Lippen. Er schien besonders zapplig.
»Ich muß fahren«, sagte ich. »Ich muß den Reifen bei Everett flicken lassen.«
»Ich bring ihn für Sie hin«, sagte er schnell. »Dann komm ich gleich wieder zurück und mach ihn Ihnen drauf.«
»Nein«, entgegnete ich, »aber vielen Dank. Ich muß sowieso noch einiges einkaufen.« Ich ging zu meinem Wagen.
»Ich bin hergekommen, weil ich Ihnen wegen unserem Weihnachtsfeuer Bescheid sagen wollte.«
»Was für ein Weihnachtsfeuer?«
»Ach, das ist hier Tradition. Jedes Jahr am Heiligen Abend treffen wir uns alle auf der Wiese im Gemeindepark, das ganze Dorf, und machen ein Riesenfeuer und singen Weihnachtslieder. Alle kommen. Die Frauen von der Kirche machen heißen Cider, und für die Kinder gibt’s Süßigkeiten. Sie sollten wirklich kommen. Packen Sie die Kleine einfach warm ein. Aber Sie werden sich wundern, wie warm es Ihnen von dem Feuer wird, da friert man nicht mal in der kältesten Nacht.« Er sah zum drohenden Himmel hinauf. »Ich glaub, wir kriegen heut abend wieder einen Schneesturm«, bemerkte er.
Wahrscheinlich gingen ihm allmählich die Vorwände aus, mich zu besuchen. Bis Weihnachten war es noch mehr als eine Woche.
»Na schön, mal sehen«, meinte ich.
Er zog tief an seiner Zigarette. »Soll ich Ihnen hinterherfahren? Nicht daß Ihnen jetzt ohne Ersatzreifen was passiert.«
»Nein, das ist nicht nötig«, entgegnete ich. »Es wird schon nichts passieren.«
»Sicher, Füchslein?«
»Aber ja«, versetzte ich.
»Also gut, okay«, sagte er und sah noch einmal zu der Gestalt im gelben Ölmantel hinunter, die sich zur Landspitze hin entfernte. »Ich seh mal, was der alte Jack so treibt«, sagte er. »Schade, daß ich nicht früher gekommen bin. Ich hätte Ihnen den Reifen auch wechseln können, dann hätten Sie unsern guten alten Jack nicht bemühen müssen.«
»Ich hab Ihren guten alten Jack nicht bemüht«, sagte ich. »Er ist nur …«
»Ja, ja, schon gut«, fiel er mir ins Wort. »Seien Sie vorsichtig, wenn’s anfängt zu schneien.«
»Ich schaff das schon«, sagte ich, vielleicht bestimmter als nötig. Ich lief noch einmal ins Haus, um die Tragetasche zu holen, verstaute Caroline auf dem Rücksitz, stieg in den Wagen und schloß die Tür. Willis war schon auf dem Weg zur Landspitze hinunter. Ich schob den Schlüssel ins Zündschloß und holte einmal tief Atem. Plötzlich sah ich Harrold vor mir, er raste in seinem Auto um die Ecke und schleuderte einen Kieshagel gegen meinen Wagen. Ich sah mich und Caroline im Auto, und Harrold draußen, wie er versuchte, die Tür aufzureißen.
Ich fragte mich, wo er jetzt war, was er dachte, was er unternommen hatte, um mich zu finden.
Es gibt Abschnitte meines Aufenthalts in St. Hilaire, an die ich mich jetzt nur noch nebelhaft erinnere. Dazu gehören auch die Tage vor Weihnachten. In klarer Erinnerung habe ich nur den Heiligen Abend, das Feuer, die Tage davor sind wie verwischt.
Am Heiligen Abend weinte Caroline tagsüber sehr viel, sie bekam wieder Zähne, zwei zu gleicher Zeit, und ließ sich von mir nicht trösten. Selbst das Kinderaspirin, das ich endlich besorgt hatte, wirkte nicht. Als ich mir keinen Rat mehr wußte, packte ich sie ins Auto und fuhr mindestens eine Stunde lang ziellos die Küste hinauf und hinunter, in der Hoffnung, daß sie einschlafen würde. Der Tag war klar und hell. Die Bucht zu meiner Linken glitzerte wie tausend Edelsteine im Sonnenschein. Ich trug meine dunkle Brille so sehr aus Notwendigkeit wie zur Tarnung. Das grün-weiße Boot war weg gewesen, als ich Caroline zum Wagen getragen hatte, und auf der Fahrt – zuerst in südlicher, dann in nördlicher Richtung – hielt ich, über den
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