Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
alle Leute aus dem Dorf kommen zusammen und singen Weihnachtslieder. Die Kinder können nach Herzenslust toben, es gibt Cider und Plätzchen, die älteren Jungs trinken meistens ein bißchen zuviel und schlagen dann über die Stränge, aber es ist eine gute Gelegenheit für die Leute, zusammen zu feiern und, um es mal ganz klar zu sagen, ein bißchen Dampf abzulassen. Meine Frau ist allerdings eine richtige Schwarzseherin. Jedes Jahr unkt sie wieder, daß das Feuer bestimmt in einer Katastrophe enden wird, aber ich finde, es ist ein guter Brauch – wenn die Jungs sich ausgetobt haben, sind sie den Rest des Winters ziemlich gut zu haben, bis sie wieder aufs Wasser raus können. Nur in dem Jahr ist es ein bißchen zu weit gegangen, da gab’s eine saftige Schlägerei.
Da hatten zwei Jungs – es waren die Söhne von Sean Kelly und Hiram Tibbett – die glorreiche Idee, eine Protestaktion zu veranstalten. Und eine andere Gruppe Jungs – aus dem Dorf – hatte sich irgendwie eine Flasche Bourbon beschafft, ich hatte keine Ahnung davon, und hat hinter der Kirche getrunken. Wie sie dann zum Feuer gekommen sind, gab’s Streit zwischen den beiden Gruppen, und plötzlich sind die Fetzen geflogen – Sie wissen ja, wie die jungen Leute sind, wenn sie getrunken haben. Jedenfalls war auf einmal die Hölle los, die Männer haben auch noch mitgemacht, bis ich dazwischen bin und ein Machtwort gesprochen hab. Ich erzähle Ihnen das alles nur, um Ihnen zu erklären, wieso ich in der Kirche war als es passierte, und, ehrlich gesagt, ich hatte ganz schön was abgekriegt, ich glaub zwar nicht, daß ich’s gezeigt hab, aber mir war ziemlich mulmig, wissen Sie, drum hab ich auch nicht so schnell reagiert, wie ich’s hätte tun sollen.
Kurz und gut, plötzlich kommt Malcolm Jewett in die Kirche gestürzt, wo ich diese Jungs festgesetzt hab und wir gerade dabei sind, so eine Art Schadensfeststellung zu machen, und ruft, daß die Frau mit dem Baby umgekippt ist. Ich hab sofort gewußt, von wem er redet, weil ich Mary vorher gesehen hatte. Da war sie mit der Kleinen rumgelaufen. Er sagt, sie ist einfach umgekippt, und eine von den Frauen hat ihr das Baby abgenommen, das sie in so ’ner Schlinge bei sich getragen hat, und dem Baby ist nichts passiert, es weint nur. Ich laß also die Jungs unter Dick Gibbs Aufsicht und saus raus zum Park, aber als ich kam, hatte Jack Strout ihr schon wieder auf die Beine geholfen und war gerade dabei, ihren Schal zu richten. Julia war auch dort. Ich glaub, sie hatte Mary von ihrer Veranda aus gesehen. Da steht sie nämlich immer und behält das Feuer im Auge. Sie hat jedes Jahr Angst, daß die Funken zu ihrem Haus rüberfliegen, drum steht sie immer mit zwei Eimern voll Wasser auf der Veranda. Ich stell immer den Feuerwehrwagen hinter den Laden, nur für den Fall, daß das Feuer mal außer Kontrolle gerät, aber bis jetzt ist das noch nie passiert. Es hat Jahre gegeben, wo wir kaum ein Feuer in Gang gekriegt haben, weil’s so geschneit hat, aber einen Unfall hatten wir bis jetzt noch nicht, dreimal auf Holz geklopft. Na jedenfalls – Julia hat Mary und das Kind mit zu sich reingenommen. Jack ist nicht mitgegangen, da bin ich ziemlich sicher. Aber wie ich schon sagte, danach hat natürlich jeder, der bis dahin noch nicht von ihr gehört hatte, gewußt, wer sie war.
Sie ist anscheinend einfach ohnmächtig geworden.
Meiner Ansicht nach hatte sie verdammtes Glück. Wenn sie irgendwie blöd gefallen wär, hätte dem Baby leicht was passieren können. Elna Coffin, die neben ihr gestanden hatte, sagte, sie wär plötzlich einfach weg gewesen. Eben hätte sie noch dagestanden und im nächsten Moment hätte sie auf dem Boden gelegen. Elna hat zuerst gedacht, irgend jemand hätte sie gestoßen oder getreten. Dann hat das Baby angefangen zu schreien, und dann ist Jack gekommen, und sie ist wieder zu sich gekommen. Das ist eigentlich alles, soweit ich mich erinnern kann.
Am nächsten Tag hat jeder, der uns gesehen hat, Julia und mich nach ihr ausgefragt, wahrscheinlich haben sie auch Jack ausgefragt, ich weiß es nicht, aber der hätte sowieso nichts gewußt, ich mein, was mit ihr los war, und so, und Julia, die redet eh nicht viel und hat den Leuten, die nur neugierig waren oder ein bißchen Klatsch hören wollten, nie was über Mary Amesbury erzählt. Und ich glaub, die Leute haben irgendwie den Eindruck gekriegt, daß Mary in Schwierigkeiten war.
Drum hat auch keiner viel gesagt, als später dieser Mann
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