Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
kam, der Kerl aus New York – hm, warten Sie mal, das war ungefähr zwei Wochen später, nach Neujahr. Er hat nach einer Frau mit einem kleinen Kind gefragt, aber wie gesagt, da hat keiner was erzählt. Sie haben sich alle ein Beispiel an Julia genommen. Sie hat hier im Dorf großen Einfluß, wissen Sie. Die Leute haben wohl gefunden, wenn Julia ihre Gründe hätte, nichts zu sagen, dann wären diese Gründe auch gut genug für sie.
Aber leider haben offensichtlich nicht alle so gedacht, nicht wahr? Ich mein, am Ende hat diesem Burschen doch einer was erzählt.
Ich hab da so meinen Verdacht, und ich weiß, daß Julia das gleiche denkt wie ich, aber weiter möcht ich wirklich nicht gehen.
Julia Strout
Mary Amesbury kam manchmal mit der Kleinen auf eine Tasse Tee zu mir. Und am Heiligen Abend war sie auch bei mir im Haus. Sie war draußen vor der Kirche ohnmächtig geworden.
Ich war auf meiner Veranda und habe es beobachtet. Ich hatte daran gedacht, zu Mary hinüberzugehen. Ich wollte ihr sagen, daß sie am ersten Feiertag jederzeit zu mir kommen könnte. Sie hat mir einfach leid getan bei der Vorstellung, daß sie den ganzen Tag mutterseelenallein mit ihrem Kind da draußen im Cottage sitzen würde. Aber ich wollte in dem Moment nicht von meiner Veranda weg, weil ich das Gefühl hatte, daß das Feuer viel zu hoch brannte.
Everett Shedd hat sicher schon erklärt, was es mit dem Feuer auf sich hat? Ich weiß, daß nie was passiert ist, aber ich bin trotzdem gern auf alle Eventualitäten vorbereitet. Ich bleib immer mit ein paar Eimern Wasser auf meiner Veranda, für den Fall, daß der Wind Funken rüberträgt. Am vierten Juli, beim Feuerwerk, das wir immer für die Kinder veranstalten, mach ich es genauso. Beim Feuerwerk hat auch Everett die Aufsicht. Ich weiß, daß er seinen Feuerwehrwagen immer hinter dem Laden stehen hat, aber es braucht ja nur einen einzigen verirrten Funken! Die Häuser hier sind alle sehr alt und ganz aus Holz gebaut, und wenn eines Feuer fängt, gibt’s da kein Halten.
Wie gesagt, ich habe gesehen, wie sie fiel. Zuerst dachte ich, sie wäre gestoßen worden, aber als ich hinkam, sah ich, daß ihr Gesicht ganz weiß war. Wirklich weiß, selbst in der Dunkelheit konnte man das sehen. So was kommt vor. Ich hab das nicht das erstemal gesehen. Mir hat man gesagt, daß mein Gesicht auch ganz weiß wurde, als ich hörte, daß mein Mann ertrunken ist. Aber das tut hier nichts zur Sache.
Jack Strout, der Vetter meines Mannes, stand über sie gebeugt als ich hinkam, und schrie die Leute an, sie sollten Platz machen, damit sie Luft bekäme. Elna Coffin hatte die Kleine schon aus dem Tragetuch herausgenommen. Die Kleine hatte einen Riesenschrecken bekommen. Aber das war auch alles. Sonst war ihr nichts passiert. Bei mir im Haus hab ich sie ausgezogen und von oben bis unten untersucht. Jack hat mir geholfen, Mary wieder auf die Beine zu bringen. Wir hätten sie unmöglich auf der kalten Erde liegenlassen können. Da hätte sie sich eine Lungenentzündung oder Schlimmeres geholt. Und als wir sie hochhievten, kam sie auch wieder zu sich. Ich hatte Riechsalz im Haus und hätte wahrscheinlich jemanden geschickt, es zu holen, aber das war gar nicht nötig. Sie kam sofort wieder zu sich. Die ganze Sache war ihr schrecklich peinlich, und sie fragte mich dauernd nach dem Kind. Sie war ziemlich außer sich. Wenn sie vornüber gefallen wäre, hätte dem Kind leicht was passieren können.
Ich hab sie mit zu mir genommen und hab ihr erst mal heißen Tee und Brandy eingeflößt. Ich wollte sie nicht weglassen, bevor sie was gegessen hatte, aber sie war im Schock und brachte kaum einen Bissen runter. Ich dachte, sie wäre vielleicht ohnmächtig geworden, weil sie nicht ordentlich für sich selbst sorgte und geschwächt war, aber davon wollte sie nichts wissen. Sie sagte, ihr wäre einfach schwindlig geworden. Ich vermute, es hatte was mit der Schlägerei zu tun.
Ja, wenn man nach einem Grund sucht, dann war’s wohl der. Die Schlägerei hatte ihr zugesetzt. Sie hat vielleicht unangenehme Erinnerungen bei ihr ausgelöst. Das jedenfalls würde ich vermuten. Sie hat nicht viel dazu gesagt, und ich wollte nicht neugierig sein.
Es hatte sie sehr erschüttert.
Ich bot ihr an, sie nach Hause zu fahren, aber das wollte sie nicht. Und davon ließ sie sich auch nicht abbringen. Als ich sie für den nächsten Tag zum Essen einlud, dankte sie mir, sagte aber, sie fühle sich im Beisein anderer Menschen noch immer nicht
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