Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
uns nicht versehentlich zu kippen. Unser gemeinsames Gewicht schien beinahe zuviel für das Boot, und ich sah, als ich über die Seite blickte, daß es sehr tief im Wasser lag. Ich wagte keine Bewegung, als er uns zum Kanal hinaus ruderte, wo der Kutter lag, eine Entfernung von vielleicht fünfzig Metern. Es war wirklich nicht weit, aber ich hatte Angst. Ich wünschte, ich hätte eine Schwimmweste, auch wenn mir sofort einfiel, daß Julia gesagt hatte, ihr Mann sei erfroren und nicht ertrunken. Ja, meine Angst war so groß, daß ich einmal verstohlen die Hand ins eisige Wasser tauchte und über Carolines Stirn das Kreuz schlug – was mich heute, wenn ich daran denke, wirklich erstaunt. Ich hatte Caroline nicht taufen lassen, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, bis in alle Ewigkeit von ihr getrennt zu sein – obwohl ich, wenn Sie mich jetzt, hier, in dieser Zelle, fragen würden, sagen müßte, daß ich nicht an die Ewigkeit glaube.
Während Jack uns hinausruderte, hatte ich ungehinderten Blick auf die Landzunge und mein kleines Häuschen. Vom Wasser aus wirkte das Haus noch isolierter. So weit das Auge reichte, war es nur von niedrigem Buschwerk, Felsen und Wasser umgeben.
Jack schaffte es irgendwie, uns alle in den Kutter zu bugsieren, obwohl ich mit dem Kind auf dem Bauch sehr schwerfällig war, und er mich am Ende über die Seite hieven mußte. Ich mußte mich auf einen Kasten im Cockpit setzen, während er das Boot startklar machte. Er öffnete die Tür zum Ruderhaus, hob den Deckel eines Maschinengehäuses und ließ den Motor an. Dann kam er vorn herum und reichte mir eine Schwimmweste. Es war eine Standardweste, wie von der Küstenwache vorgeschrieben, aber ich sah gleich, daß sie kaum benutzt war. Ich legte sie über meinem Mantel an, und als er zu mir zurückblickte, schüttelte er den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und lächelte. Dann ging es los.
Auf der Backbordseite war das Boot geschlossen, an einem Haken hingen die Regensachen. Auf der Steuerbordseite war es offen. Dort waren das Steuerrad und irgendeine hydraulische Vorrichtung zum Einholen der Hummerkörbe. Über dem Rad hing ein Funkgerät, das er aber an diesem Tag nicht benutzte. Rund um das Rad waren noch einige Armaturen angeordnet – ein Echolot, erklärte er, und Treibstoffanzeiger. Im Cockpit neben mir stand ein Köderfaß. Er stand am Steuer und manövrierte uns um die Insel herum. Dann winkte er mir, zu ihm zu kommen.
Ich hielt mich an einem Masten fest und blickte zurück zum Land, von dem wir uns immer weiter entfernten. Der Motor war so laut, daß ein Gespräch anstrengend war, deshalb redeten wir nicht viel miteinander. Er rief mir zu, daß er direkt zum Fangbereich hinausfahren und die Reusen einholen würde, die er ein paar Tage zuvor gesetzt hatte. Ende der Woche, sagte er, würde er das Boot aus dem Wasser holen. Sobald er die Körbe eingeholt habe, fügte er hinzu, würde er mit uns zu Swale’s Island hinüberfahren.
»Es ist wunderschön«, sagte er. »Es hat den schönsten Strand in ganz Ost-Maine.«
Caroline schlief ein sobald wir lostuckerten, und wachte erst wieder auf, als wir im natürlichen Hafen von Swale’s Island ankerten. Es war kalt, aber wenn ich dicht neben Jack im Schutz des Ruderhauses blieb, spürte ich den Wind nicht. Ich glaubte nicht, daß Caroline fror, aber ich wurde von Gedanken daran gequält, was hier draußen alles passieren und wie schnell ein Mensch in dem kalten Wasser umkommen konnte.
Jack war entspannt und locker, lächelte so gelöst, wie er das selten tat. Vielleicht amüsierte es ihn, mich, die Landratte, mit meinem Kind auf seinem Boot zu sehen, vielleicht belustigte es ihn auch, wie ich aussah, in der großen Schwimmweste, mit dem Kind auf dem Bauch. Es waren nur wenige Boote auf dem Wasser, und als wir die Küste hinter uns gelassen hatten und nur noch Inseln zu sehen waren, hatte ich das Gefühl, sehr weit weg zu sein. Anfangs hatte ich das Dorf noch sehen können, jetzt war es verschwunden, selbst der weiße Turm der Kirche. Die Sonne war aufgegangen, doch die Küste verbarg sich in dunstigem Blau.
Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde schaltete Jack plötzlich den Motor ab, nahm das Ölzeug vom Haken, zog aber nur die Hose über. Seinen gelben Ölmantel hatte er schon an. Er zog den Hosenlatz wie eine Schürze über den Mantel. Ich fragte ihn, woher er so genau wisse, wo er sich befand. Er wies auf eine kleine Bucht einer nahegelegenen Insel, dann auf einen Felskamm.
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