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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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sich an den Tisch und rauchte eine Zigarette, während ich den Kaffee machte. Ich stellte die beiden Schalen mit den Cornflakes auf den Tisch.
    »Im allgemeinen frühstücke ich immer, bevor ich aus dem Haus gehe, aber heute morgen konnte ich nichts essen«, sagte er und drückte die Zigarette in dem Aschenbecher aus, den ich ihm gegeben hatte.
    Ich lächelte.
    »Und schlafen konnte ich auch nicht«, fügte er hinzu und erwiderte mein Lächeln.
    Ich wäre am liebsten wieder nach oben gegangen, um ins Bett zu klettern und, fest an seine Brust gedrückt, mit ihm zusammen unter den Decken einzuschlafen.
    »Wann hast du beschlossen herzukommen?« fragte ich.
    »Irgendwann mitten in der Nacht. Ich wäre am liebsten auf der Stelle aufgestanden und losgefahren, aber das ging nicht …«
    Ich nickte. Ich wußte, er sprach von seiner Frau.
    »Macht es dir nichts aus, morgens immer so früh raus zu müssen?« fragte ich.
    »Ach, das geht schon«, antwortete er. »Man gewöhnt sich daran. Und mir paßt es.«
    »Willis hat mir erzählt, daß du studiert hast, aber dein Studium nicht fertigmachen konntest, weil du nach Hause mußtest.«
    Er prustete mit leichter Geringschätzung. »Willis«, sagte er.
    Ich schwieg, während er seine Cornflakes aß.
    »Aber es stimmt«, sagte er schließlich. »Ich war im zweiten Jahr, da hat sich mein Vater beide Arme gebrochen. Ich mußte nach Hause, um seine Arbeit zu übernehmen.«
    Mehr sagte er nicht dazu.
    »Warst du sehr enttäuscht?« fragte ich. »Ich meine, daß du dein Studium nicht beenden konntest.«
    Er antwortete nicht gleich.
    »Am Anfang vielleicht schon«, sagte er nachdenklich, ohne mich anzusehen. »Aber mit der Zeit lebt man sich ein, man hat sein Haus, seine Arbeit, seine Kinder. Man kann nicht gut bereuen, was dazu geführt hat, daß man seine Kinder bekommen hat.«
    Ich wußte, was er meinte. Obwohl meine eigene Ehe zu einer unsäglichen Katastrophe geworden war, konnte ich mir ein Leben ohne Caroline nicht mehr vorstellen.
    In diesem Moment stieg die Sonne über den Horizont und tauchte den Raum in ein helles lachsfarbenes Licht. Jacks Gesicht schien zu glühen. Ich fand es schön in diesem Moment, das schönste Gesicht, das ich je gesehen hatte, auch wenn ich die Sonne haßte, da sie ihn ja vertrieb. An seinen Gesten, an der plötzlichen Anspannung seiner Muskeln, der Art, wie er seinen Stuhl vom Tisch zurückschob, sah ich, daß er gleich gehen würde.
    Er holte seinen Ölmantel von der Tür, klemmte ihn unter den Arm und stellte sich hinter meinen Stuhl. Mit der freien Hand hob er das Haar in meinem Nacken und küßte mich dort.
    »Viel kann ich dir nicht geben«, sagte er.
    Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut.
    Er ging, bevor die anderen Männer kamen. Er fuhr in seinem grün-weißen Boot hinaus, kehrte aber vor dem Nebel zurück. Durch Zufall machte ich gerade mit Caroline vorn am Ende der Landzunge einen Spaziergang, als er zurückkam. Er winkte uns von seinem Pick-up aus zu – für die Männer im Fischhaus gewiß nicht mehr als eine freundliche Geste –, aber wir sprachen nicht miteinander. Später pflegte er seinen Wagen unten beim Ruderboot abzustellen und zu Fuß zum Haus zurückzukommen, um bis nach Sonnenaufgang zu bleiben. Zwischen uns bestand ein schweigendes Einverständnis, daß niemand von seinen Besuchen bei mir wissen durfte. Er mußte an seine Frau und seine Kinder denken.
    Er kam jeden Morgen bei Tagesanbruch. Erst hörte ich das Brummen des Motors unten auf der kleinen Straße, dann seine Schritte auf der Treppe. Ich sperrte die Hintertür zur Küche nicht mehr ab. Meistens schlief ich wenn er kam, und manchmal schien mir, er träte in meine Träume ein. Es war immer noch dunkel wenn er kam, höchstens ein Hauch von Licht war im Zimmer wahrnehmbar, und ich sah ihn dann umrißhaft am Ende des Betts stehen oder sich auf der Kante niedersetzen und hinunterbeugen, um seine Schuhe auszuziehen. Und wenn ich dann in dem Bett, das ich die ganze Nacht gewärmt hatte, zu ihm hinrutschte, war es, als wäre unsere Vereinigung schon Teil der täglichen Rhythmen hier draußen, so natürlich und notwendig wie das Kreischen der Möwen, wenn sie erwachten und nach Beute Ausschau hielten, oder wie das Licht, das lavendelblau und perlrosa auf dem Wasser lag, wenn er ging.
    Nach dem ersten Morgen hatte ich Carolines Kinderbett ins untere Schlafzimmer gestellt. Die Trennung fiel mir schwer, aber mir war klar, daß die Zeit reif war für sie. Die Wände im Haus

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