Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
waren dünn, und ich hörte sie von meinem Bett aus ohne Schwierigkeiten, wenn sie schrie.
Möchten Sie Einzelheiten hören? Es gibt Momente, die ich niemals preisgeben werde – Erinnerungen, Worte und Bilder, so köstlich, daß ich sie für mich allein bewahre. Aber ich kann Ihnen immerhin sagen, daß er nie mehr von mir verlangte, als ich geben konnte, und so zart mit mir umging, als wäre ich an Leib und Seele wund. Manchmal hielt er mich einfach in seinen Armen, und das genügte. Zu anderen Zeiten gab ich ihm alles, was ich besaß.
Am dritten oder vierten Tag, kurz vor Sonnenaufgang, als es schon hell war im Zimmer, stieg ich aus dem Bett und stellte mich vor ihn hin. Ich wollte mich ihm zeigen. Ich wußte, daß mein Körper an manchen Stellen Schaden gelitten hatte und an anderen häßlich war, aber sein Blick störte mich nicht. Ich empfand keine Scham und ich spürte keinerlei Wertung von ihm. Ich wartete nicht darauf, daß er sagen würde, ich sei schön. Das war es nicht, was ich mir erhoffte. Ich glaube, ich wollte es einfach hinter mich bringen. Aber da tat er etwas Seltsames. Er stieg ebenfalls aus dem Bett. Er zeigte mir die Narbe einer Blinddarmoperation, die quer über seinen Unterleib verlief. Er hob ein Bein und zeigte mir eine Narbe an seinem Schienbein, wo ein Tau einmal Haut und Fleisch fast bis auf den Knochen durchgescheuert hatte. Seine Hände seien voller Schrammen, sagte er und hielt sie mir hin, und an seinem Oberarm entdeckte ich eine Narbe, die aussah, als stammte sie vom Schnitt einer Zackenschere. Als Junge, erzählte er, habe er den gefangenen Hummern immer die Scheren zusammenbinden müssen, und einmal sei er von einer Biene gestochen worden, habe vor Schreck den Hummer losgelassen, und der habe ihn prompt mit seinen Scheren gepackt. Ich mußte lachen.
»Na, schön«, sagte ich und kroch wieder ins Bett.
»Das sind alte Kampfwunden, weiter nichts«, sagte er und berührte eines nach dem anderen die Male an meinem Körper.
Zwischen uns war eine große Intimität, aber nichts Besitzergreifendes. Es ist vielleicht merkwürdig, aber wir sprachen beide nie von Liebe, obwohl ich sicher war, daß dies eine Form von Liebe war, die einmal zu erfahren ich nicht mehr geglaubt hatte. Ich glaube, es war einfach so, daß wir zwar einander vertrauten, aber nicht mehr dem Wort. Ich stellte mir vor, daß er – wie ich meinen Mann – seiner Frau früher einmal gesagt hatte, er liebe sie und mit Bestürzung erlebt hatte, wie aus der Gewißheit Ungewißheit und dann Enttäuschung geworden war.
Es gab so vieles, das wir nicht voneinander wußten und auch niemals wissen konnten. Sein Leben auf dem Wasser hatte ihn geformt und geprägt genau wie mich das Leben in der Stadt und mit meiner Mutter. Er hatte keine Ahnung von dem Termindruck und der Hektik in einer Redaktion, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, im Nebel auf dem Wasser umherzuirren und sich einzig auf seine fünf Sinne und seinen Instinkt verlassen zu können, um irgendwie lebend das Ufer zu erreichen. Ich wußte auch kaum etwas über seine Ehe. Er sprach nie von seiner Frau, und ich stellte keine Fragen. Das Thema war für ihn mit einer tiefen Traurigkeit belastet, und ich mied es, so wie er es vermied, dem Wahnsinn meiner Ehe nachzuforschen. Einmal allerdings gab er seine Zurückhaltung auf. Ich hatte zu ihm gesagt, meiner Meinung nach hätte ich mir die Mißhandlungen selbst zuzuschreiben, weil ich meinem Mann als Katalysator für seine Wut gedient hätte. Jack nahm mich beim Handgelenk und zwang mich, ihn anzusehen. Ich trage keine Schuld daran, daß ich geschlagen worden sei, sagte er klar und deutlich. Dafür sei einzig der Schläger verantwortlich. Ob ich das verstünde?
Eines Morgens, als wir miteinander im Bett lagen, glaubte ich, Weinen zu hören. Ich hielt den Atem an und lauschte und spürte, wie Jack mich losließ, um ebenfalls zu horchen.
Es war Caroline, die weinte, sie schien große Schmerzen zu haben. Ich muß zu ihr, dachte ich, aber ich war wie gelähmt, zurückversetzt in eine andere Zeit, ein anderes Bett, einen anderen Moment kindlichen Weinens. Es drückte mir fast die Luft ab, und mein Gesicht muß voller Angst gewesen sein, denn Jack sah mich erschrocken an und fragte: »Was ist los? Alles in Ordnung?«
»Es ist Caroline«, flüsterte ich.
»Ich weiß«, antwortete er. »Geh zu ihr. Oder soll ich gehen?«
Die Frage riß mich in die Realität zurück. Ich schlug die Decke zurück und schlüpfte in
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