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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Sie schienen mir nicht anders auszusehen, als alle Buchten und Felskämme, an denen wir vorübergekommen waren. Er lachte. Er habe ja auch noch das Echolot, sagte er. Und außerdem waren rund um uns herum natürlich seine Bojen – rot, mit einem gelben Streifen um den Bauch.
    Ich sah ihm zu, wie er einen nach dem anderen seine Körbe einholte. Er nahm die Hummer heraus, verschnürte die Scheren mit Gummibändern, warf die Hummer in einen der mit Wasser gefüllten Eimer, kippte alles Unbrauchbare, was sich in den Körben gesammelt hatte, ins Meer zurück und stapelte die Körbe übereinander.
    »Normalerweise würde ich sie mit frischen Ködern bestücken und wieder reinwerfen, aber ich hol sie jetzt für den Winter ein«, erklärte er.
    Es war schwere Arbeit, und schön war sie gewiß nicht. Das Einholen der Körbe hatte nichts Romantisches, war nur ein Kampf mit Wasser und Kälte. Er trug lange Baumwollhandschuhe, trotzdem waren seine Hände bestimmt eiskalt. Das Wasser klatschte in Schwällen auf seine Hose und auf den Boden um uns herum.
    Als er fertig war, war das kleine Cockpit vollgepfercht mit Eimern, Körben und Bojen, und ich hatte meinen Platz auf dem Kasten verloren.
    Er wandte das Boot nach Süden, in Richtung auf Swale’s Island, und machte mich auf die Insel aufmerksam, sobald sie in Sicht kam. Auf der Nordseite konnte ich mehrere große Holzhäuser erkennen und Wiesen oder Felder.
    »Sie ist in Privatbesitz«, sagte er. »Aber im Sommer fahren wir immer alle mit unseren Familien an den Strand auf der anderen Seite, zum Picknick oder zum Baden.«
    Er wandte sich von mir ab, als er von den Familien sprach, und machte sich am Steuer zu schaffen. Er prüfte das Echolot, blickte scharf nach Westen zur Küste hin. Mir war klar, was es ihn kostete, einen Sonntag mit mir zu verbringen, und auch, daß es vielleicht keine weiteren Sonntage mehr geben würde. Das Boot, mit dem wir fuhren, trug den Namen seiner Frau, daran wurde ich manchmal unversehens erinnert, wie zum Beispiel, als er – ein ganz geläufiger Ausdruck eigentlich – sagte: »Ich fahr sie jetzt erst mal zum Fangbereich raus.«
    Er steuerte das Boot nah an die Westküste der Insel heran, so daß ich die Felsen und hier und dort einen Seehund erkennen konnte. Dann manövrierte er das Boot durch die schmale Einfahrt, und wir waren im Hafen – einer halbmondförmigen Bucht mit einem beinahe reinweißen Strand, unberührt und einsam, nur per Boot zu erreichen. Er schaltete den Motor aus und warf den Anker aus. Caroline wachte auf.
    »Ich hab ein kleines Picknick mitgenommen«, sagte er.
    »Ich muß Caroline stillen«, sagte ich.
    Ich hatte sie nie in seinem Beisein gestillt. Er machte zwei einander gegenüberliegende Bänke im Cockpit frei, half mir aus der Schwimmweste und nahm Caroline aus dem Tragetuch. Während er Caroline hielt, sagte er, ich solle nach vorn gehen und nachsehen, ob ich nicht das alte Badetuch entdecken könne, das dort irgendwo herumliegen müsse. Wir könnten es als Windschutz benützen, während ich Caroline stillte.
    Ich ging nach vorn in die kleine Kabine. Für Jack hatte sie vermutlich eine gewisse Ordnung, für mich sah sie chaotisch aus. Alles mögliche lag da durcheinander, irgendwelche Metallteile, Taue, eine Zeltplane, Lumpen. Ich machte eine Spindtür auf. Als erstes fielen mir die Bücher ins Auge. Es war vielleicht ein halbes Dutzend Taschenbücher. Ich weiß, daß ein Lyrikband von Yeats dabei war und Malamuds »Der Gehilfe«. Die Bücher waren abgegriffen, voller Eselsohren und Wasserflecke. Alte Karten, hundertmal aufgeschlagen und wieder gefaltet, stapelten sich neben ihnen. Ich fand eine Taschenlampe, Leuchtkugeln und eine Leuchtpistole. Eine halb geleerte Flasche Whisky. Schließlich das Badetuch, nach dem ich suchte. Und darunter lag eine Pistole. Ich nahm sie zur Hand, hielt sie einen Moment, legte sie dann zurück. Mit dem Badetuch ging ich wieder ins Cockpit.
    »Ich hab das Badetuch gefunden«, rief ich ihm zu und blieb einen Moment stehen, um ihn mit Caroline im Arm zu betrachten. »Und eine Pistole hab ich auch gefunden.«
    »Ach, die«, sagte er, so unbekümmert, als hätte ich nicht eine Schußwaffe entdeckt, sondern eine Uhr, die er verloren hatte. »Jeder von uns hat so ein Ding«, fügte er hinzu. »Wegen der Wilderer, um sie abzuschrecken. Ich geb von Zeit zu Zeit mal ein paar Schüsse ab, damit sie nicht verrostet, aber das ist auch alles.«
    »Sie ist geladen?« fragte ich.
    »Was hätte sie

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