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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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mein Nachthemd. Ich rannte die Treppe hinunter in ihr Zimmer. Sie lag mit angezogenen Knien auf dem Rücken in ihrem Kinderbett. Sie weinte wirklich vor Schmerz. Ich nahm sie hoch und begann den vertrauten Weg mit ihr zu gehen, durch die Küche, das Wohnzimmer, ihr Schlafzimmer und zurück, aber diesmal konnte nicht einmal das sie beruhigen. Jack kam in der Unterhose die Treppe hinunter. Sein Haar war zerzaust, und er war barfuß – die Bodendielen waren eiskalt.
    »Gib sie mir mal«, sagte er, als ich das zweitemal an ihm vorüberkam.
    Ich legte sie ihm in die Arme, und sie sah ihn einen Moment neugierig an, bevor sie wieder zu weinen anfing. Er ging mit ihr zum Sofa am Fenster und legte sie bäuchlings auf seine leicht gespreizten Knie. Dann begann er mit seinen Knien auf und nieder zu wippen – massierte ihr praktisch den Bauch. Beinahe augenblicklich hörte sie zu weinen auf.
    »Ich weiß selbst nicht, warum das klappt«, sagte er, sichtlich zufrieden mit sich. »Aber es wirkt immer. Ich hab das oft mit meiner Tochter praktiziert, als sie noch ein Baby war. Ich vermute, es drückt die Luft nach oben oder nach unten. Ich weiß gar nicht mehr, wer mir das beigebracht hat.«
    Ich stand auf der anderen Seite des Zimmers und betrachtete die beiden. Sie waren ein komischer Anblick – Jack in der Unterhose, mit schlafverquollenen Augen und plattgedrücktem Haar, Caroline auf seinen langen Oberschenkeln, den Blick auf mich gerichtet, als wollte sie sagen, und jetzt? Es war eiskalt im Raum, ich fröstelte. Ich ging zu ihm und nahm Caroline hoch. Sie kuschelte sich an meine Schulter, als wolle sie wieder einschlafen.
    »Du kannst gut mit Kindern umgehen«, bemerkte ich. »Ich hab dich beim Weihnachtsfeuer mit deiner Tochter beobachtet.«
    »Ja, gut mit Kindern, verdammt schlecht mit Ehefrauen.« Er stand vom Sofa auf.
    »Hast du mehr als eine gehabt?«
    »Eine reicht.« Er kreuzte die Arme über der Brust und rieb sie, um sie zu wärmen.
    »Ist deine Ehe wirklich so schlecht?« fragte ich, während ich Caroline sachte wiegte.
    Er zuckte die Achseln. »Wie man sich bettet, so liegt man«, sagte er.
    Ich fand die Wortwahl interessant.
    »Warum gehst du nicht?« fragte ich.
    »Das kann ich nicht«, antwortete er. »Die Möglichkeit gibt es nicht.«
    Seine Worte hatten etwas Endgültiges, und als wollte er diese Endgültigkeit unterstreichen, wandte er sich ab und sah zum Fenster hinaus, zum Horizont, wo er das gleiche sah wie ich – ein rotglühendes Stück Sonne, das sich aus dem Wasser herausschob.
    In der Befürchtung, er könne mich mißverstanden haben, sagte ich rasch: »Ich will nicht, daß du gehst. Das habe ich nicht gemeint.«
    Er drehte sich zu mir herum.
    »Ich weiß«, erwiderte er.
    Einen Moment lang standen wir nur da und sahen einander an, und heute, in der Erinnerung, kommt es mir vor, als hätten wir einander unendlich viel gesagt.
    »Ich geh jetzt besser«, sagte er schließlich.
    Ich ging zu ihm und berührte leicht seinen Arm, streichelte ihn, wie er einmal meinen gestreichelt hatte. Es war das einzige, was mir einfiel.
    Sein Leben auf dem Wasser war mir fremd. Eines Tages gegen Ende allerdings, eines Sonntags, als die anderen Männer nicht zur Landzunge herauskamen, nahm er mich auf seinem Boot mit hinaus. Als er den Ausflug vorschlug, dachte ich sofort an Caroline, aber er sagte, wir könnten sie in ihrem Tragetuch mitnehmen, wenn ich das wolle. Er habe seine eigenen Kinder auch oft mit hinausgenommen, als sie noch klein gewesen waren. Babys schliefen draußen auf dem Wasser fast immer sofort ein, wahrscheinlich beruhige sie das Schwanken des Bootes oder das Brummen des Motors. Viele Frauen, sagte er, packten ihre Kinder, wenn sie Koliken hatten, und fuhren mit ihren Männern hinaus, um nur einmal einen Tag Ruhe zu haben.
    Ich weckte Caroline früh, und wir waren startbereit, als er kam. Draußen war es noch kalt, aber die Luft war klar, und ich konnte bis zum Leuchtturm sehen. Das Wasser war glatt und ruhig, aber ich wußte, daß es zum späten Vormittag hin stürmischer werden würde. Er machte das Boot los und schob es zum Wasser hinunter.
    »Steig ein«, sagte er. »Vorn.«
    Das Boot war ziemlich mitgenommen. Sogar ich konnte das sehen. Er sagte, er habe das ganze Jahr vorgehabt, sich ein neues anzuschaffen, aber er sei nicht dazu gekommen.
    »Wir fahren ganz langsam«, sagte er.
    Ich setzte mich mit Caroline an den Bug. Er war hinten im Heck, aber er stand nicht wie sonst, sondern kniete, um

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