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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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heiß.
    Ich lief in die Küche und zerdrückte eine Aspirintablette. Sie löste sich in dem Apfelsaft nur unvollständig auf, und als ich Caroline den Saft einflößen wollte, warf sie schreiend den Kopf zurück und schlug die Flasche weg. Da ich mir keinen anderen Rat wußte, nahm ich sie auf den Arm und ging mit ihr hin und her. Aber das half auch nichts. Ich wollte sie an meine Brust drücken, um sie zu trösten, doch sie drehte sofort den Kopf weg und begann, sich in meinem Arm hin und her zu werfen. Ich wollte unbedingt ruhig bleiben und klar denken, aber dieses Hinund Herwerfen des Kopfes machte mir Angst.
    Jack kam wie immer kurz vor Tagesanbruch. Ich hatte Caroline auf die Matte im Badezimmer gelegt, nachdem ich ihr Schlafanzug und Windeln ausgezogen hatte, und versuchte, sie mit einem kühlen Waschlappen abzureiben, um das Fieber zu senken. Aber sie schrie nur noch lauter.
    Jack blieb an der Tür stehen. Er hatte seinen Ölmantel an und die hohen Stiefel.
    »Was ist denn los?« fragte er.
    »Sie hat Fieber. Aber ich kann nicht feststellen, was ihr fehlt.«
    Er kauerte neben mir nieder, um ihr Gesicht zu berühren.
    »Um Gottes willen«, sagte er. »Sie glüht ja.«
    Ich hatte versucht, mir einzureden, das Fieber wäre nicht allzu schlimm, aber als er »Um Gottes willen« sagte, konnte ich mich nicht länger täuschen.
    »Ich wollte warten, bis die Klinik in Machias aufmacht«, sagte ich hastig. »Aber ich weiß nicht. Was meinst du?«
    Er sah auf seine Uhr. »Es ist jetzt halb sechs«, sagte er. »Vor neun ist keiner da.«
    Er stand auf. Seine Stiefel und der Ölmantel raschelten.
    »Ich geh rauf zu den LeBlancs«, sagte er. »Ich ruf den Notarzt an.«
    »Das kannst du doch nicht tun!« Ich sah zu ihm hinauf. Was er vorhatte, war viel zu riskant. Wenn er meinetwegen zu den LeBlancs ging, würde alles herauskommen.
    »Ich sag einfach, ich wär auf dem Weg zum Boot gewesen, als du zur Tür kamst und mich um Hilfe gebeten hast.«
    »Das glauben sie dir bestimmt nicht«, entgegnete ich.
    »Keine Ahnung«, meinte er, »aber darüber solltest du dir jetzt wirklich keine Gedanken machen.«
    Als er zurückkam, saß ich mit Caroline in der Badewanne. Es war ungemütlich und kalt, aber ich wußte einfach nicht, was ich sonst tun sollte. Wichtig war nur, das Fieber zu senken.
    »Fahren wir«, sagte er von der Tür her. »Der Arzt wartet dort auf uns.«
    Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. Seine grauen Augen waren klar und wach.
    »Willst du wirklich …?« begann ich.
    Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich fahr euch hin. Zieh dich an.«
    Ich stand auf und gab ihm Caroline. Er wickelte sie in ein Badetuch und hielt sie, während ich nach oben ging und mich anzog. Dann lief ich wieder hinunter und versuchte, Caroline etwas überzuziehen. Sie schrie unaufhörlich, warf den Kopf von einer Seite auf die andere, so daß selbst Jack, den ich für unerschütterlich gehalten hatte, unruhig wurde. Einmal, als ich sie auf den Rücken gelegt hatte und versuchte, ihren Fuß in das Bein ihres Schlafanzugs zu schieben, begann sie, sich seitlich an den Kopf zu schlagen. Ich sah Jack an, aber er wich meinem Blick aus. Danach gab ich meine Bemühungen auf und packte sie einfach in eine Wolldecke.
    Jack hielt sie, während ich ins Führerhaus seines Pickups hinaufkletterte. Der Himmel war violett, und am westlichen Horizont waren noch Sterne. Es war kaum Verkehr auf der Straße, aber in manchen Häusern brannte schon Licht. In Machias war es so still, daß wir das Gefühl hatten, durch eine Geisterstadt zu fahren.
    Der Arzt war schon in der Klinik eingetroffen. Er hatte die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Er kam um die Ecke, als wir ins Wartezimmer traten, und ich sah mit Überraschung, wie jung er war. Er kann nicht älter als dreißig gewesen sein, und er sah überhaupt nicht aus wie ein Arzt. Er hatte Blue Jeans an und ein zerknittertes blaues Arbeitshemd. Er schien direkt in die Kleider gestiegen zu sein, die vor seinem Bett auf dem Boden gelegen hatten. Er führte uns in ein Sprechzimmer und bat mich, Caroline freizumachen. Während ich sie aus der Decke nahm, berichtete ich ihm.
    Er hielt sich nicht damit auf, ihre Temperatur zu messen. Das schien er gar nicht zu brauchen. Er sah ihr in den Hals und dann in beide Ohren.
    Erst als er sich wieder aufrichtete, griff er ihr an die Stirn. »Mittelohrentzündung«, erklärte er sachlich. »Hab ich mir gleich gedacht. Hat’s ganz schön erwischt, die Kleine.«
    Er holte ein

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