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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Sie würden sie auch nicht verstehen. Und wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
    Ich wollte etwas sagen und ließ es dann.
    »Da ist doch irgend etwas nicht in Ordnung, richtig?« fragte der Arzt.
    Caroline, die im Moment keine Schmerzen zu haben schien, aber vom Fieber erschöpft war, sah zu mir hinauf.
    »Doch«, entgegnete ich hastig und vielleicht zu laut. »Doch, es ist alles in Ordnung.«
    Ich gab ihm Namen und Adresse von Carolines Kinderarzt in New York an. Ich wußte sogar die Telefonnummer auswendig.
    Jack trug Caroline, als wir zum Wagen gingen. Er sagte, an den Kinderarzt habe mein Mann bestimmt nicht gedacht, die Chancen, daß er darauf gekommen sei, stünden eins zu einer Million. Um ihn zu beruhigen, stimmte ich zu. Aber in Wirklichkeit glaubte ich das Gegenteil.
    Jack fuhr uns zum Haus zurück. Es begann hell zu werden, als wir die holprige Straße hinunterrumpelten, und schon färbte sich das Meer bläulich. Die Luft war klar und rein wie frisch gewaschen, und kalt. Seit drei Tagen war es wieder klirrend kalt, und ich ahnte, daß die kurze Wärmeperiode vorüber war, daß wir jetzt eine ganze Weile keinen Nebel und keine milderen Temperaturen mehr bekommen würden. Jack hatte am Tag zuvor gesagt, daß er jetzt bald sein Boot aus dem Wasser holen würde.
    Vor dem Haus setzte er mich ab und fuhr nach Machias zurück. Er wollte dort warten, bis die Apotheke öffnete, um das Mittel zu holen, das der Arzt Caroline verschrieben hatte. Er würde viel später als sonst zum Fischen hinausfahren und vielleicht von den Männern im Fischhaus gesehen werden, wenn er herkam, um mir das Medikament zu bringen. Ich hatte selbst in die Stadt fahren wollen, um es zu holen, aber davon hatte er nichts wissen wollen. Ich müsse bei Caroline bleiben, hatte er gesagt. Er würde fahren.
    Wie es der Zufall wollte, stand der rote Pick-up vor dem Fischhaus, als Jack zurückkam. Er klopfte und gab mir das Päckchen. Er fragte, wie es Caroline gehe. Ich konnte ihm sagen, daß sie sich besser fühlte und jetzt schlief. Ich wünschte mirso sehr, er könnte hereinkommen, und spürte, daß auch er diesen Wunsch hatte, am liebsten einfach über die Schwelle getreten wäre und die Tür hinter sich zugeschlagen hätte. Er hielt die Tür mit seiner Schulter offen und stand vorgebeugt, wie auf dem Sprung.
    »Komm doch rein«, sagte ich und wußte doch schon im selben Moment, daß er ablehnen mußte. Es war jetzt ganz hell, und ich war sicher, daß Willis uns durch die salzverkrustete Fensterscheibe im Fischhaus beobachtete. Ich wartete nur darauf, daß er zur Tür herauskommen würde.
    »Ich kann nicht«, sagte Jack.
    Ich schob meine Hand unter den Kragen seines Flanellhemds. Vom Fischhaus aus konnte man das nicht sehen. Seine Haut war warm. Ich zitterte vor Kälte und Verlangen. Und in seinem Gesicht sah ich das gleiche Verlangen. Hinter uns kreisten die Möwen und machten in tollkühnen Sturzflügen Jagd auf Beute.
    Die Zeit war kostbar geworden – noch kostbarer vielleicht seit den Ereignissen des Morgens. Ich wußte, Jack empfand es wie ich – wir durften die Minuten, die uns blieben, nicht vergeuden. Wenn er in ein paar Tagen sein Boot an Land brachte, würde er bis zum Saisonbeginn im Frühling morgens nicht mehr zu mir kommen können. Er konnte mich nicht besuchen, wenn er vorgeblich im Fischhaus seine Ausrüstung reparierte. Das hätten die anderen gesehen. Und er konnte nicht um vier Uhr morgens sein Bett verlassen. Es war ja kein Boot mehr da, zu dem er hinausfahren mußte, und seine Frau würde das wissen. Wieviele Tage blieben uns noch? Drei oder vier?
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte er.
    Ich zog meine Hand zurück.
    »Kommst du morgen?« fragte ich.
    »Ja«, sagte er und drehte sich abrupt herum, um den kleinen Hang zum Ende des Kaps hinunterzulaufen.
    Ich kümmerte mich den ganzen Tag nur um Caroline, döste ein wenig, wenn sie schlief, trug sie herum, wenn sie wach war. Das Antibiotikum hatte sie sehr matt gemacht, aber sie schien keine starken Schmerzen mehr zu haben, und das Fieber ließ auch nach. Ich war froh darüber. Gegen Abend wurde sie wieder etwas munterer, und wir spielten zusammen auf dem Teppich. Ich streckte mich darauf aus, und sie versuchte, über mich hinweg zu krabbeln, bis ich sie packte und durch die Luft schwang oder sie neben mir niederlegte und ein wenig kitzelte. Sie kicherte und lachte – ein herzhaftes Lachen, das tief aus dem Bauch kam, so wunderbar, daß ich sie einfach drücken

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