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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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mußte.
    Jack kam kurz vor Tagesanbruch. Ich war wach und wartete schon auf ihn. Er rannte die Treppe herauf und riß sich schon seinen gelben Ölmantel herunter, als er die Tür zu meinem Schlafzimmer öffnete. Ich setzte mich im Bett auf, um ihn zu begrüßen, und er umarmte und küßte mich, noch ehe er sich ganz ausgezogen hatte. Er liebte mich an diesem Morgen mit einem heißen, stürmischen Verlangen. Ich spürte etwas Neues an ihm – eine hoffnungslose Sehnsucht, die das Unmögliche begehrte.
    »Ich möchte sie verlassen«, sagte er später. »Ich möchte hierher kommen und bei dir bleiben.«
    Ich wollte etwas sagen, aber er unterbrach mich.
    »Ich kann sie nicht verlassen«, fuhr er fort. »Als du gestern morgen dem Arzt den Namen und die Telefonnummer angegeben hast, so mutig und ganz ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, dachte ich einen Moment lang, wenn du so viel riskieren kannst, könnte ich das auch. Den ganzen Tag habe ich nur darüber nachgedacht und versucht, einen Weg zu finden, sie zu verlassen, ohne ihr weh zu tun. Aber ich weiß jetzt, daß das nicht möglich ist. Es gibt keinen Weg. Ich selbst würde ja gar nichts riskieren. Aber ich würde alles aufs Spiel setzen, was ihr etwas bedeutet – ihre Familie und ihr Zuhause, und ich würde ihre Gesundheit gefährden. Das kann ich ihr nicht antun. Ich habe kein Recht dazu. Sie ist zu labil, und das würde ihr …«
    Ich drückte meine Hand auf seinen Mund und legte meinen Kopf auf seine Brust, zog die Decke bis über unsere Schultern hinauf. »Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen«, sagte ich. »Laß uns einfach genießen, was wir haben.«
    Er schlang seine Arme um mich und zog mich fest an sich.
    »Es tut mir leid«, sagte er.
    Dann schwiegen wir beide.
    »Weißt du«, sagte er nach einer Weile, »ich möchte wirklich nicht, daß du gehst, aber vielleicht solltest du doch mal darüber nachdenken, nur der Sicherheit halber.« Ich spürte die Spannung in seinen Armen. »Es muß ja nicht gleich ein anderer Kontinent sein, nur ein anderer Ort, ein bißchen weiter im Norden vielleicht.«
    Mir war schon in der Klinik in Machias dieser Gedanke gekommen, aber ich hatte ihn sofort verworfen. Ich konnte dieses Haus jetzt nicht einfach zurücklassen. Ich konnte Jack nicht verlassen. Ich hatte nicht die Kraft dazu. Das wußte ich.
    »Wann fängt die Saison wieder an?« fragte ich.
    »Im April«, antwortete er. »Aber ich könnte sie ein bißchen vorziehen. Das Boot schon Mitte März wieder herholen.«
    »Dann tu das«, sagte ich.
    Später, als er am Küchentisch saß und ich Tee kochte, fragte ich ihn, was er eigentlich studiert hatte und was er nach dem Studium vorgehabt hatte. Draußen war es noch dunkel, und ich konnte unsere Spiegelbilder im Glas der Fenster sehen: ich in Nachthemd und Wolljacke mit offenem Haar, das zu lang war, Jack in Flanellhemd und Pullover, mir halb zugewandt, so daß er mir zusehen konnte, wie ich am Herd hantierte. Im dunklen Glas gespiegelt, sahen wir aus wie ein Fischer und seine Frau, die früh aufgestanden war, um ihrem Mann das Frühstück zu richten. An eine heimliche Liebesaffäre hätte bei unserem Anblick sicher keiner gedacht – dazu wirkten wir zu wenig romantisch, zu familiär. Dieses Bild im Fenster fesselte mich einen Moment, wir erweckten den Anschein, das wir nicht waren, niemals sein konnten.
    »Was ist los?« fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich trug den Tee und etwas Toast zum Tisch.
    »Du wirst lachen«, sagte er, »aber ich dachte allen Ernstes daran, später einmal an einem College zu unterrichten. Ich bekam das Stipendium aufgrund meiner sportlichen Leistungen und wollte eigentlich Sportlehrer oder Trainer werden. Für mich hat’s nie etwas Schöneres gegeben als Laufen, nicht einmal das Fischen kann da mithalten – aber dann bin ich im Grundstudium bei einem Professor für englische Literatur gelandet, der mich unheimlich beeindruckt hat, und dachte, ich könnte ja beides machen: unterrichten und trainieren.«
    »Hast du mal dran gedacht weiterzumachen – mit dem Studium, meine ich«, fragte ich. Ich dachte an die Bücher, die ich auf dem Boot entdeckt hatte.
    »Nein«, antwortete er schnell und abwehrend. »Kein einziges Mal, seit ich aufgehört habe.«
    »Trauerst du dem Studium nach?«
    »Nein.« Er sagte es mit einer Endgültigkeit, als hätte er mit diesem Kapitel schon vor Jahren abgeschlossen.
    Während wir unser bescheidenes Frühstück aßen, sagte er, er würde sein Boot am

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