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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Fläschchen aus einem Schrank und träufelte in jedes Ohr einen Tropfen Flüssigkeit. »Das wird den Schmerz erst mal ein bißchen lindern«, sagte er. »Aber wir müssen ihr sofort Antibiotika geben. Am liebsten würde ich ihr gleich eine Spritze geben, wenn Ihnen das recht ist. Den Saft können Sie dann holen, wenn die Apotheke aufmacht. Offen gesagt, mir gefällt dieses Fieber nicht, ich denke, wir sollten schleunigst was dagegen tun.« Wieder legte er die Hand auf ihre Stirn. »Ich werde ihre Temperatur gleich messen, aber meiner Schätzung nach hat sie um die vierzig Grad Fieber.« Sein Ton war ruhig, aber ich sah ihm an, daß das Fieber ihn beunruhigte.
    Ich hatte plötzlich das Gefühl zu ersticken, und der Boden schien unter meinen Füßen wegzusinken. Mit einer Hand hielt ich mich an der Kante des ledergepolsterten Untersuchungstischs fest. Krampfhaft versuchte ich nachzudenken, mich zu erinnern, aber das, woran ich mich erinnern mußte, entzog sich mir wie die Lösung einer komplizierten Rechenaufgabe.
    »O nein«, sagte ich leise, beinahe unhörbar.
    Der Arzt hörte mich, aber verstand mich falsch. Auch Jack machte ein verwundertes Gesicht. Es gab doch schlimmeres als eine Mittelohrentzündung.
    »Das wird schon wieder«, sagte der Arzt schnell, um mich zu beruhigen. Und vielleicht lag in seiner Stimme eine Schwingung falscher Munterkeit. Aus einem Glas, das mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt war, nahm er ein Fieberthermometer und hielt Carolines Beine fest, um es einzuführen. Sie versuchte strampelnd, sich zu wehren, aber er hielt sie mit fester Hand. »Ich wollte, ich bekäme für jede Mittelohrentzündung, die ich diesen Winter behandelt habe, nur fünf Cents«, bemerkte er. »Wenn ich ihr jetzt eine Spritze gebe, wird sie wahrscheinlich gegen Abend höchstens noch erhöhte Temperatur haben, und morgen wird sie wieder ganz auf dem Damm sein. Aber Sie müssen ihr das Antibiotikum zehn Tage lang geben.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Was ist denn?« Jack sah mich ratlos an. Das grelle Licht im Sprechzimmer fiel gnadenlos auf die rauhe Haut seines Gesichts und die tiefen Furchen zu beiden Seiten seines Mundes. Die Male in meinem Gesicht, obwohl beinahe verheilt, waren wahrscheinlich genauso deutlich zu sehen. Ich fragte mich, ob Jack schon früher einmal hier gewesen war, mit seiner Frau in diesem Zimmer gestanden hatte, während sein eigenes Kind auf dem Untersuchungstisch gelegen hatte.
    »Sie hat eine Allergie gegen irgendein Antibiotikum«, sagte ich so ruhig ich konnte, »und ich weiß nicht mehr, welches es ist.«
    »Na, das ist weiter kein Problem«, meinte der Arzt und zog das Thermometer heraus. »Genau«, sagte er. »Vierzig Grad. Damit ist nicht zu spaßen. Ich gebe ihr auch gleich was gegen das Fieber. Wer hat sie denn behandelt? Ich rufe sofort an. Es muß auf ihrer Karte stehen.«
    Da begriff Jack. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen und sah mich wieder an.
    »Sie war drei Monate alt.« Ich sprach mehr mit mir selbst als mit Jack und dem Arzt. »Sie hatte ziemlich hohes Fieber, aber ihr Kinderarzt konnte die Ursache nicht feststellen. Er hat ihr damals irgend etwas gegeben, und ich weiß nicht mehr, was es war, aber sie hat sofort Ausschlag und Schwellungen bekommen. Daraufhin haben sie ihr etwas anderes gegeben, aber was das war, weiß ich auch nicht mehr. Ich vermute, es war Penicillin, aber sicher bin ich nicht. Sie hat außerdem noch ein Sulfonamid bekommen, glaube ich, aber ich weiß einfach nicht mehr, was was war.«
    Niemand sagte etwas.
    »Es tut mir wirklich leid, daß ich mich nicht erinnern kann«, sagte ich. »Ich war nicht sehr …«
    »Sicher«, unterbrach mich der Arzt. Er schien ungeduldig, ungehalten darüber, daß ich offenbar nicht sehen konnte, wie einfach die Lösung dieses Problems war. »Das ist wichtig. So eine allergische Reaktion kann beim zweitenmal tödlich sein. Aber es ist doch kein Problem, das wir nicht lösen können. Sie brauchen mir nur den Namen des behandelnden Arztes zu geben, dann kann ich Ihre Karte abrufen.«
    Jacks Gesicht war unbewegt. »Können Sie der Kleinen nicht irgendein anderes Medikament geben, bei dem nichts zu fürchten wäre?« fragte er.
    Der Arzt sah zuerst Jack an, dann mich. Man sah ihm an, daß ihm langsam ein Licht aufging.
    »Okay, ich rufe an«, sagte ich schnell.
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein«, widersprach er. »Das muß ich selbst machen. Man würde Ihnen die Informationen wahrscheinlich nicht geben, und

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