Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
beiden was läuft. Nennen Sie’s Instinkt. Ich hab für so was einen Riecher, Sie verstehen? Zusammen gesehen hab ich sie erst später, ungefähr eine Woche danach, vielleicht war’s auch länger. Aber gespürt hab ich’s schon vorher, ich hab’s ihnen angesehen. So, und jetzt überlegen Sie mal. Sie ist am dritten Dezember hier angekommen. Weihnachten war nur drei Wochen später. Na, da hat sie doch wirklich nichts anbrennen lassen, oder?
Tja, und wenn man sich das mal durch den Kopf gehen läßt, fängt man an, die gute Mary Amesbury ein bißchen anders zu sehen. Ich mein, vielleicht war sie ja gar nicht so ganz das arme Opfer, für das sie sich ausgegeben hat. Vielleicht war sie daheim in New York ein bißchen zu oft hinter anderen Männern her, und ihr Mann hatte guten Grund. Ich weiß nicht, aber ich glaub, wenn meine Frau dauernd rumflirten würde – hey, vielleicht ist das Kind nicht mal von ihm? –, also, ich mein, da kann einem schon der Kragen platzen.
Ich will damit nur sagen, daß man darüber mal nachdenken sollte, weiter nichts.
Jack andererseits, der ist eigentlich der typische Familienvater. Da hat’s nie irgendwas gegeben, und bei Rebecca auch nicht. Die ganze Geschichte ist wirklich traurig. Wenn ich dran denke, was passiert ist …
Mit andern Worten, ich glaub nicht, daß Jack derjenige war, der den ersten Schritt gemacht hat. Verstehen Sie? Ich kenn Jack. Der ist grundanständig. Er ist seiner Frau immer treu gewesen, trotz der ganzen Probleme. Der hat eine andere Frau nicht mal angeschaut, soviel ich weiß, und ich würd’s wahrscheinlich wissen. So, und jetzt sagen Sie mir, was da passiert ist. Ich mein, Mary Amesbury war ja trotz allem schon eine gutaussehende Frau, und ich kann mir vorstellen, daß sogar Jack – ich mein, wenn so eine Frau nicht lockerläßt, da kann’s schon passieren … Wir sind schließlich alle Menschen, stimmt’s, vielleicht hat er einfach nicht widerstehen können. Was ich damit sagen will, ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Jack den ersten Schritt gemacht hat. Er ist nicht der Typ.
Ja, ich hab sie zusammen gesehen. Ich hab sie in flagranti ertappt, könnte man sagen, obwohl sie natürlich nicht direkt … Sie wissen schon. Es war an einem Sonntag nachmittag. Ich war drüben auf dem Kap, um ein paar Sachen aus dem Fischhaus zu holen, und wollte bei ihr vorbeischauen und sehen, wie es ihr geht. Wissen Sie, ich hab mich so ein bißchen verantwortlich für sie gefühlt, ich war ja praktisch der erste Mensch, dem sie im Dorf begegnet ist. Ich hab gesehen, daß ihr Wagen da war, aber von ihr war keine Spur zu sehen. Nach einer Weile hab ich angefangen mir Sorgen zu machen, ich hab gedacht, es wär ihr vielleicht was passiert, aber dann hab ich die beiden reinkommen gesehen. Er war mit ihr in seinem Boot rausgefahren. Und das an einem Sonntag! Na, da war doch sofort klar, daß da was nicht ganz koscher war. Warum fährt er gerade an einem Tag mit ihr raus, wo er weiß, daß sonst kein Mensch auf dem Kap ist? Richtig? Ich geh also zu den beiden, aus reiner Höflichkeit eigentlich, und die Gesichter hätten Sie sehen sollen. Das schlechte Gewissen in Person. Und sie hat auch noch das kleine Kind dabei. Ich würd gern wissen, was sie mit dem Kind gemacht haben, als sie – Sie wissen schon. Na ja, geht mich ja nichts an.
Tatsache ist jedenfalls, daß er jeden Morgen bei ihr war, bevor er rausgefahren ist. Das hat sich in der ganzen Stadt rumgesprochen, ich weiß allerdings nicht, ob vorher oder nachher. Ich kann mich jetzt nicht mehr dran erinnern. Ich hab jedenfalls Bescheid gewußt, aber ich hätt’s natürlich nicht an die große Glocke gehängt. Kann höchstens sein, daß ich’s Jeannine erzählt hab. Ich war danach ziemlich enttäuscht von Mary Amesbury. Ich hab immer gedacht, sie wär das, was sie war, aber das war sie gar nicht, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Tja, wie ich schon sagte, das alles hat wahrscheinlich gar keine Bedeutung. Ich hab mir nur gedacht, Sie sollten die Fakten wissen.
Mary Amesbury
In dieser Nacht weckte mich Carolines Weinen, ein lautes hohes Wimmern, das nicht aufhörte. Als ich in ihr Zimmer kam, lag sie auf allen vieren in ihrem Kinderbett und versuchte, sich an den Gitterstangen hochzuziehen. Ihr Gesicht war krebsrot und verzerrt vor Schmerz. Als ich sie herausnehmen wollte, merkte ich sofort, daß sie Fieber hatte. Ich legte meine Hand auf ihre Stirn. Sie drehte den Kopf von mir weg. Sie war glühend
Weitere Kostenlose Bücher