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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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ausgerutscht, als er reinkommen wollte. Er konnte sich gerade noch festhalten, und ich hab ihn schimpfen hören draußen. Als er dann im Laden war, hat er sich erst mal in die Hände geblasen, er hatte keine Handschuhe – wirklich, manche Leute haben nicht einen Funken Grips. Tja, und dann hat er mich gefragt, ob’s hier im Ort eine Frau namens Maureen English gäbe. Der Name hat mir natürlich gar nichts gesagt, aber mir schwante gleich, worum’s da ging. Ich hab ihn also erst mal nach seinem Ausweis gefragt. Nachdem er ihn mir gezeigt hatte, hab ich ihm erklärt, daß ich der einzige Polizist hier am Ort bin und darüber war er offensichtlich erfreut. Wahrscheinlich hat er gedacht, er wär genau an der richtigen Adresse gelandet. Dann hab ich ihn gefragt, warum die Frau gesucht wird, und er hat gesagt, es wär eine reine Privatsache, sie wär ihrem Mann davongelaufen und so weiter. Danach hat er mir ein Foto von ihr gezeigt, und wenn ich vorher noch Zweifel gehabt hätte, wären die damit restlos erledigt gewesen, aber ich hatte ja von Anfang an keine Zweifel. Na, ich hab ihm gesagt, die Frau hätt ich noch nie gesehen, und wenn jemand hier im Dorf was wissen würde, dann ich. Dann hab ich ihm noch viel Glück gewünscht und ihm geraten, er soll’s in Machias versuchen.
    Aber da war er schon gewesen. Er hatte einen Tip bekommen, daß sie dort in der Klinik gewesen war, das hab ich Ihnen ja schon gesagt. Aber Dr. Posner, das muß man ihm lassen, der hat auch nicht viel mehr rausgerückt, als er unbedingt mußte. Ich weiß nicht, ob sie ihm einfach ihre Adresse nicht gegeben hat, oder ob er sie diesem Privatdetektiv verschwiegen hat, jedenfalls hat der mir erzählt, der Doktor hätte gesagt, er hätte das Kind zwar behandelt, hätte aber keine Ahnung, wo die Frau zu finden wäre. Er hätte den Eindruck gehabt, sie wär nur auf der Durchfahrt gewesen und wollte nach Norden.
    Aber das alles spielt ja jetzt keine Rolle mehr. Ich meine, irgend jemand hat dem Burschen dann doch was gesteckt. Ich vermute, als er auf dem Weg zu seinem Auto war, hat er unten bei der Genossenschaft ein paar Wagen gesehen und hat sich gedacht, Mensch, da geh ich mal runter, wer weiß, vielleicht kommt was dabei raus, wenn ich ein bißchen rumfrage. Und irgendeiner da unten muß ihm gesagt haben, daß er sie gesehen hatte und wo er sie gesehen hatte. Und das war’s dann auch schon.
    Ich hab den Anruf morgens um viertel nach fünf gekriegt. Als ich abgenommen hab, sagte jemand: »Everett.« Ich sagte: »Was ist?« und der andere sagte: »Ich bin’s, Jack.« »Jack!« hab ich gesagt, und dann sagte er: »Am besten kommst du gleich hier raus.« Und ich hab gefragt: »Ist was mit Rebecca?«
    Danach war’s ewig still, ich hab schon gedacht, er wär gar nicht mehr dran, aber dann sagte er: »Nein, Everett. Es hat nichts mit Rebecca zu tun.«

Mary Amesbury
    Ich denke, Sie sind anders als ich. Ich denke, Sie hätten es nicht so weit kommen lassen. Ich sehe Sie vor mir in Ihrem Khakikleid, Ihrem Sommerkostüm mit diesen Augen, die so klar und bestimmt sind wie Ihre Sätze. Ich denke, Sie hätten Harrold gar nicht lieben können. Sie hätten ihn nach der ersten Nacht verlassen.
    Haben Sie einen Liebhaber? Gehen Sie abends nach der Arbeit in Bars? Bleiben Sie bei Ihrem Liebhaber über Nacht, oder kommt er zu Ihnen – wenn Sie es wollen, wenn Sie es sagen?
    Ich stelle mir vor, wie Sie das hier lesen, und denken: Warum hat sie es soweit kommen lassen?
    Ich schreibe die ganze Nacht und den ganzen Tag. Ich schreibe trotz Licht und Lärm und stumpfsinnigem Einerlei. Ich schlafe schlecht und wenig bei dem grellen Licht und ohrenbetäubenden Krach.
    Wenn ich träume, träume ich von Harrold.
    Harrold stand am Fuß des Betts. Ich kniete auf der Matratze, die Decke bis zum Hals hochgezogen. Er griff zum Schalter und knipste die Lampe auf dem Tisch an.
    Einen Moment lang waren wir beide geblendet von der grellen Helligkeit, und als ich zu ihm hinschaute, sah ich, daß er die Augen zusammengekniffen hatte. Er hatte einen dicken roten Pullover an und Jeans dazu. Darüber trug er seinen Kaschmirmantel. Sein Gesicht wirkte fleckig und abgespannt, er war offensichtlich seit meiner Flucht nicht mehr beim Friseur gewesen. Er rieb sich die Augen. Sie hatten dunkle Schatten und waren blutunterlaufen.
    »Wieso bist du nackt?« fragte er.
    Ich sagte nichts, machte keine Bewegung.
    »Zieh dir was an. Und komm runter. Ich brauche Kaffee.« Seine Stimme war tonlos, wie

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