Gefluesterte Worte
Falte sie.und bescheide dich, und klimm wieder. Denn die Ruhe ist erreichbar, und wärest du noch so stürmisch gebaut, einmal ist sie da, einmal kann dich nichts mehr von ihr trennen, und dann darfst du sie andern schenken, ohne sie zu verlieren, im Gegenteil, je mehr du von ihr verschenkst, um so reicher wirst du selbst. Alles Seelenschenken macht den Geber reicher und manchmal weit über das hinaus, was er hergegeben hat. Auch die Scham darf dich nicht überwältigen, denn sie ist eine neue Unruhe und Herzensangst, und Qual, sie muß rasch überwunden werden, du mußt auch das Schamgefühl beherrschen und über demselben stehen, und es hinuntersenden, dorthin, wo du hergekommen bist, und wo du nicht mehr hingehörst. Es ist eben so traurig, daß wenn du gemeint hast, einen großen Schritt getan zu haben in die Ruhe hinein, du dich desto leichter herausstören läßt, und wieder zurückrufen in des Lebens Kampf und Unrast hinein. Sieh, Seele, du mußt nicht dem Leben so großen Wert beilegen, hier liegt der Fehler. Es ist alles viel unwichtiger, als du denkst, alles viel kindischer als du wähnst. Das lieben ist eine große Kinderei, und die Erde eine schmerzvolle Erziehungsanstalt,ein Waisenhaus, eine Besserungsschule, und da geht's oft hart der, und unerbittlich, aber das Ende ist eben, daß du dich aus der Schule frei machst, Seele, und selbst wanderst, ungeführt, ungescholten, ungestraft, dem Lichte entgegen, der Ruhe in die Arme. Diogenes hat gemeint, sie gefunden zu haben in der Bedürfnislosigkeit. Er aber irrte, insofern er keinem Menschen Gutes erwies, sondern alle verachtete. Dazu bist du selbst zu schwach, Seele, verachten darfst du selbst nicht deinen bittersten Feind, denn du weißt manchmal nicht, was ihn dir zum Feinde gemacht hat, oftmals ein ganz geringes Mißverständnis, eine unbedeutende Kleinigkeit. Auf der Erde sind der unbedeutenden Kleinigkeiten soviel, denen wir zu großen Wert beilegen, und uns viel zu sehr darum kümmern. Die Kleinigkeiten hindern uns oft am allermeisten auf unserm Wege. Der Tag bringt deren so viele, und das Leben ist so lang für den, der viel erlebt, für welchen jede Stunde ein reiches Erleben oder eine Pein enthält. Das Leben ist nur kurz, wenn es einförmig ist, wenn ein Tag dem andern so sehr gleicht, daß man die Rechnung verliert. Das hat uns dem Begriffe der Ewigkeit nahe gebracht.Wir haben verstehen lernen, daß immerwährendes Schauen zeitlos ist, und daß unsre Erdenmaße, die nur durch den Wechsel der Jahreszeiten bedingt sind, nicht zählen in den großen Maßen der Ewigkeit.
Die Ruhe ist ewig und unbeweglich und vollkommen. Darum erreichen wir sie so schwer, wir, die lauter Bewegung, Rastlosigkeit und Unvollkommenheit sind. Die Kirchenglocken sagen: Ruhe! Den Sonntag haben wir eingesetzt, um ein Ruhegefühl zu haben, das oft schlecht genug gebraucht wird, und von einem Ruhetage wenig an sich trägt. Ruhe wäre eben Denken für den Menschen, da ihm der Gedanke geschenkt ist als höchste Kraft. Diese Kraft verausgabt er immerfort, und da wäre der Ruhetag dazu da, um diese Kraft zu erneuern, und sich zu fragen, wie nahe sie uns der Ruhe gebracht hat. Aber da soll es Vergnügen heißen, und ach, was wir Vergnügen nennen, ist der Ruhe so fern, wie ein Pol dem andern.
Die Inder wußten, daß es die höchste Kraft ist, zu denken und sich in Schauen zu versenken. Die Inder suchten der Ruhe nahe zu kommen, aber sie erreichten sie nur durch einsames Abtöten des Leibes. Dazu ist der Leib aber nichtgegeben, um ihn zu töten, so lange er uns noch dienen kann. Die Ruhe trotz des Leibes und in demselben und in der Welt und von ihr umringt zu erlangen, ist weit mehr als das indische Sichzurückziehen.
Es gibt Menschen, die es von selbst haben, aber die sind zuweilen so selbstsüchtig wie Diogenes, und tun den Mitmenschen nicht wohl mit ihrer Ruhe, die wie Gleichgültigkeit erscheint und niemanden erquickt.
Die errungene Ruhe ist weitaus höher und besser, da sie das Ergebnis eines Gebens voll Qual ist, und einer fortwährenden Selbstdisziplin. Wie viel Reue und Herzeleid, wieviel Fallen und Wiederaufstehen bedeutet sie, wieviel Aufgeben seiner Herzenswünsche, wieviel Entsagen, da wo einmal Hoffnung stand. Um zur Ruhe zu gelangen, muß eine vollkommene Wunsch- und Hoffnungslosigkeit im irdischen Sinne eingekehrt sein. Das scheint dir traurig, Seele, wie ein Abschied von allem, was dem Leben Reiz und Wert verlieh, aber dem ist nicht so, die Wunsch- und
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