Gefrorene Seelen
Pine?«
»Es war das einzige Geschäft, wo man diese Anhänger kriegen konnte. Sie ging jeden Monat dorthin und kaufte sich einen neuen. Beim letzten Mal hatte sie sich eine Tuba ausgesucht, zwei Tage, bevor sie verschwand. Bevor sie, ja …«
»Welches Einkaufszentrum, Mrs. Pine?« Sagen Sie es doch, dachte er. Derselbe Traum, der Delorme und mich gefangen hält, zieht auch sie mit sich und gibt ihr die Worte ein. Am liebsten hätte er es geschrien:
Welches Einkaufszentrum, Mrs. Pine? Welches?
»Das große da draußen bei Lakeshore. Das mit dem Kmart und der Pharma-City.«
»Meinen Sie die Algonquin Mall?«
»Ja.«
»Vielen Dank, Mrs. Pine.«
Delorme warf ihm seinen Mantel zu. Ihren hatte sie schon an. »Schnappen Sie sich Collingwood. Ich will einen Mann von der Spurensicherung dabeihaben.«
*
Selbst eine kleine Stadt wie Algonquin Bay hat ihre Stoßzeiten, und mit dem vielen Schneematsch auf den Straßen schleppte sich der Verkehr noch langsamer dahin als gewöhnlich. Jetzt, kurz vor sechs Uhr abends, mussten sie das Blaulicht auf der Umgehungsstraße und dann nochmals in Lakeshore einschalten. Collingwood saß im Fond und pfiff leise vor sich hin.
Cardinal versuchte, sich entspannt zu geben, als sie durch die überdachte Einkaufsstraße gingen, doch auch hier herrschte Gedränge. Er ertappte sich dabei, wie er Leute vor dem Drugstore beiseite drückte, um schnell in das Musikgeschäft zu kommen.
»Mr. Troy, ist Carl Sutherland hier?«
»Er hat gerade einen Schüler. Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?«
Cardinal ging auf eine Reihe von Türen zu, die hinter dem Tresen und den Regalen mit den Gitarren begannen. »In welchem Raum?«
»Warten Sie doch bitte. Worum geht es überhaupt?«
»Collingwood, bleiben Sie hier bei Mr. Troy.«
Die erste Tür führte in einen Lagerraum. Die zweite gab den Blick frei auf eine Frau, die verblüfft von einem Klavier aufschaute, wo sie nach dem Metronom laut den Takt mitzählte. Im dritten Raum saß Carl Sutherland und legte gerade die Finger eines etwa zehnjährigen Jungen auf die Saiten einer Gitarre. Er blickte streng.
»Sind Sie Carl Sutherland?«
»Ja, warum?«
»Kriminalpolizei. Würden Sie bitte mitkommen?«
»Was soll das heißen? Ich gebe gerade Unterricht.«
»Würdest du uns bitte entschuldigen?«, sagte Delorme zu dem Jungen. »Wir sind gekommen, weil wir mit Mr. Sutherland etwas besprechen müssen.«
Nachdem der Junge gegangen war, schloss Cardinal die Tür. »Sie haben Billy LaBelle Gitarrenunterricht gegeben, nicht wahr?«
»Ja. Das habe ich der Polizei schon gesagt …«
»Und Sie kennen auch Katie Pine.«
»Katie Pine? Das ermordete Mädchen? Überhaupt nicht. Ich habe ihr Foto in der Zeitung gesehen, abgesehen davon bin ich ihr nie in meinem Leben begegnet.«
»Wir haben andere Informationen«, schaltete sich Delorme ein. »Wir wissen, dass Katie Pine zwei Tage, bevor sie verschwand, hier im Laden war.«
»Falls sie hier war, habe ich sie nicht gesehen. Warum kommen Sie damit gerade zu mir? Das ist ein großes Einkaufszentrum, die ganze Stadt wandert hier durch.«
»Nicht jeder in der Stadt musste sich schon einmal wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor Gericht verantworten, Mr. Sutherland.«
»Oh Mann.«
»Nicht jeder Kauflustige wird wegen unsittlicher Handlungen in einem Pornokino verhaftet.«
»Ach Gott.« Sutherland, das Gesicht kreidebleich, wankte leicht auf seinem Stuhl. »Ich dachte, dass wäre ein für alle Mal erledigt.«
»Würden Sie uns aufs Revier begleiten, um sich mit uns darüber zu unterhalten? Oder sollen wir Ihre Frau fragen?«
»So können Sie nicht mit mir umgehen. Ich wurde von dieser Anklage freigesprochen.« Sutherlands Stimme hatte nun einen empörten, harten Ton, doch sein Gesicht blieb blass. »Ich bin nicht stolz auf diese Episode. Aber ich sehe auch nicht ein, warumich deswegen immer noch gedemütigt werden soll. Ein dunkler Kinosaal ist kein öffentlicher Raum. Das hat auch der Richter so gesehen. Außerdem, was damals geschah, war eine Sache zwischen Erwachsenen, es geschah einvernehmlich, und überhaupt geht Sie das gar nichts an.«
»Billy LaBelle geht uns sehr wohl etwas an. Sie waren einer der Letzten, der ihn lebend gesehen hat.«
»Gut, aber was hat das mit Billy LaBelle zu tun?«
»Warum sprechen Sie nicht mit uns darüber?«, drängte Delorme. »Sie waren schließlich sein Lehrer.«
»Ja, ich war Billys Gitarrenlehrer. Das habe ich aber alles schon gesagt. Billy verließ das
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