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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Russo
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nämlich, wenn ich unsere Wohnung ganz für mich alleine habe, besonders abends. Dann mache ich es mir auf der Couch gemütlich, natürlich nicht ohne mich vorher ausreichend mit Gummibärchen, Chips, Milchschnitten und Malzbier versorgt zu haben.
    Ich gebe es zu, ich stehe auf Dieter Bohlens Sprüche und gucke DSDS . Bin eben gerne dabei, wenn ganz Deutschland den neuen Superstar sucht. Da kann man so schön mit den Kandidaten mitleiden. Am schlimmsten finde ich, wenn jemand rausfliegt, der echt Gesangstalent hat. Da will ich dann gleich sofort mitheulen und verstehe Gott und die Welt nicht mehr. So was bewegt mich immer total.
    Ich lasse mich auch gerne von anderen Talentshows oder irgendwelchen Castingshows unterhalten. Letztens habe ich gesehen, wie in einer Sendung einer der Kandidaten erst einen Krokodilpimmel und dann einen Känguruanus verspeisen musste. Mein Appetit auf Gummibärchen war auf der Stelle gestillt. Beinahe hätte ich mich sogar ganz solidarisch übergeben. Ich kann nicht anders, ich lebe einfach mit den Menschen mit.
    Mir ist am liebsten, wenn Jürgen so um sieben Uhr geht und rechtzeitig zur Schlafenszeit wieder da ist. Dann brauche ich mich nicht um ihn zu sorgen. Und ich muss mir trotzdem keine Vorträge über den Verbleib meiner Bildung, meines Intellekts oder über die Bildung und den Intellekt von Dieter Bohlen anhören. Seinen Ratschlägen, dass ich lieber eine anspruchsvolle politische Talkshow schauen sollte oder ein seriöses Buch oder eine informative Zeitung lesen sollte, gehe ich so auch aus dem Weg. Ich lese nämlich zur Entspannung am liebsten die für mich überaus informative Cosmopolitan . Und ab und an leiste ich mir eine Brigitte oder Freundin oder Für Sie , meistens wenn neue Frisuren darin gezeigt werden, die ich allerdings selber noch nie ausprobiert habe. Wie die Rezepte aus den Kochzeitschriften, die sich bei uns stapeln und darauf warten, endlich mal von mir nachgekocht zu werden.
    In vielen Dingen bin ich eben das genaue Gegenteil von Jürgen. Dafür liebt Jürgen mich für meine Spontaneität und Kreativität. Als unser gläserner Wohnzimmertisch eines Tages in tausend Stücke zerbrach, habe ich kurzerhand aus all meinen gesammelten Zeitschriften einen neuen Unterbau gezaubert. Darüber habe ich eine Holzplatte gelegt, die ich zuvor mit Zeitung, natürlich einem Tagesblatt, beklebt und anschließend lackiert hatte. Jürgen war begeistert. Und unendlich dankbar. Es war immerhin seine Schuld gewesen, dass die alte Tischplatte hinüber war. Er hatte den schweren gusseisernen Aschenbecher ein wenig zu heftig darauf abgestellt – und klirr, das war’s gewesen. Ich hatte ja von Anfang an gesagt, dass in unserer Wohnung nicht geraucht wird. Aber Jürgen wollte es unseren Gästen unbedingt erlauben. Nach diesem Ereignis blieb unsere Wohnung rauchfrei.
    Ich habe den selbst gebauten Tisch sehr geliebt. Er blieb, bis uns Jürgens Eltern zum ersten Mal besuchen kamen. Eine Woche später wurde er gegen einen schicken Designertisch ausgetauscht, den das Ehepaar Stankowicz, natürlich ganz zufällig, noch irgendwo rumstehen hatten.
    An meine Fernseh-und Lesegewohnheiten hat Jürgen sich nie gewöhnt. Eine Zeit lang habe ich mich so dafür geschämt, dass ich noch nicht einmal Maja davon erzählt habe. Bis meine Freundin eines Tages total schlecht gelaunt bei mir in der Wohnung auftauchte und mich ganz vorwurfsvoll mit den Worten begrüßte: »Stell dir mal vor, der Nevio ist rausgeflogen. Ich fass es nicht!«
    Natürlich wusste ich sofort, von wem sie spricht. »Guckst du das auch? Das wusste ich ja gar nicht.«
    »Klar, guckt doch fast jeder. Gibt nur keiner zu. Ist doch total cool. Da kann man so schön mitleiden.«
    »Ich dachte immer, ich bin die Einzige, die sich so was reinzieht. Jürgen bekommt immer die Krise, wenn er mich dabei erwischt.«
    »Ach, der versteht so was nicht. Der hat eben nix als Zahlen und Gesetze im Kopf.«
    »Und ich dachte immer, ich bin doof, weil ich so was gucke. Von wegen unter meinem Niveau und so …«
    »Liebelein, eins ist ja mal wohl klar: Du bist die intelligenteste Frau, die ich kenne. Du hast dein Abi mit Eins gemacht und wirst dein Examen mit Bestnote hinlegen. Du bist von Natur aus gescheit, sozusagen von innen heraus. Da darfst du dir von außen ruhig ein wenig Mist reinziehen. Seien wir ehrlich, das tut doch gut.«
    Seitdem ich weiß, dass ich von Natur aus intelligent bin und deswegen von außen ein angeborenes Anrecht auf eine

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