Gefuehlsecht
Alice Schwarzer, Feminismus oder Emanzipation auseinandergesetzt. Bisher fand ich es schon ungemein emanzipiert von mir, dass ich Jura studiere. Wenn ich Alice richtig verstanden habe, ist der einzige Unterschied zwischen Jürgen und mir sein Johann, der da zwischen seinen Beinen baumelt. Und der ist gar nicht so wichtig. Na ja, außer vielleicht zum Nachwuchszeugen. Alles andere hat meine Erziehung aus mir gemacht. Also ist meine Mutter schuld. An allem. War ja klar!
Dass Alice lebt, habe ich von Anfang an nicht bezweifelt, aber wenn Maja an etwas glaubt, dann macht es gar keinen Sinn, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Sie würde ihre Meinung erst ändern, wenn Alice ihr wirklich und leibhaftig unter die Augen treten würde.
Dass ein Heiratsantrag irgendwann mal dazu führt, mich Worte wie Feminismus , Emanzipation und Zipfelträger googeln zu lassen, hätte ich niemals gedacht. Als ich Zipfelträger eintippe, fragt mich die Suchmaschine: Meinten Sie: Zapfenträger? Auch nicht schlecht! Das sind Nadelbäume – und ein Exemplar hat ja bekanntlich mehrere Zapfen auf einmal.
Danach lese ich ein bisschen zu Charlotte Roche . Tatsächlich wird Charlotte als Feministin einer neuen Generation gesehen. Sie ist sozusagen eine sexpositive Feministin. Da hat Maja mit ihrem Vergleich gar nicht so Unrecht gehabt. Schade nur, dass Charlotte jetzt nicht hier ist. Ich hätte tausend Fragen auf einmal an sie. Aber wozu gibt es Stift und Papier? Ich entscheide mich spontan für einen persönlichen Brief. Nach einem kurzen Moment der Überlegung fange ich an zu schreiben.
Montag, 10. November
Liebe Lotte, wie fühlst du dich so als sexpositive Feministin? Klingt übrigens gut und hört sich auf jeden Fall viel besser an als Emanze! Das klingt so nach Pomeranze. Was übrigens wiederum eine Zitrusfrucht ist. Wusstest du das? Bist du Feministin? Ich meine, siehst du das auch so? Und ist man schon gleich eine Feministin, wenn man als Frau Spaß am Sex hat?
Hattest du schon mal Sex mit einer Frau? Wenn ja, wie fühlt sich das an?
Bist du verheiratet? Ich habe nämlich aus Versehen einen Heiratsantrag angenommen. Das Ja habe ich sozusagen geschluckt. Wie viel Kalorien ein Blowjob wohl hat?
Liebe Grüße, deine Barbara
11
Du bist eben wie Mutti
Eigentlich ist mein Name Barbara, Barbara Braun, aber momentan denke ich, Barbara Blond würde besser zu mir passen. Würde Jürgen mich heute so sehen, würde er wahrscheinlich auf der Stelle in Ohnmacht fallen. Oder er würde mich verständnislos anschauen und fragen: »Entschuldigung, was machen Sie hier? Können Sie mir sagen, wo Frau Braun ist?«
Heute ist Mittwoch. Am Freitag hat Jürgen mir den Heiratsantrag gemacht. Bis Sonntag war ich mit Maja in dem Wellness-Hotel. Den Montag und Dienstag habe ich damit verbracht nachzudenken, zu schlafen und einen Brief an Charlotte zu schreiben. An meinem Kühlschrank hängt demonstrativ mit einem farbigen Magneten befestigt meine persönliche Lotte-Liste . Ich werfe einen kurzen Blick darauf. Einen kleinen Moment verweile ich bei dem Punkt mit dem Friseur und schon wieder könnte ich einen Tobsuchtsanfall bekommen. Kurz danach fange ich an zu heulen und dann schmiede ich Mordpläne. Ich war gestern beim Friseur!
Jede Frau, die was auf sich hält, hat einen guten Friseur. Bestenfalls ist er schwul und entwickelt sich mit der Zeit zu deinem liebsten Freund, einem, der dir in jeder Krise zur Seite steht und verständnisvoll die Hand hält, natürlich nachdem er dir den neuesten Look verpasst hat. Nur ich habe keinen schwulen Friseur. Und nicht nur das. Ich habe gar keinen festen Friseur. Und ich wünsche mir, dass der, bei dem ich gestern war, nicht mehr lange zu leben hat. In Gedanken habe ich schon den Text für sein Grabgebinde geschrieben: »Ich hoffe, Sie schmoren in der Hölle und müssen dem Teufel täglich die Glatze polieren!«
Seitdem ich denken kann, hatte ich immer die gleiche Frisur. Alle beneideten mich um meine schönen Haare, die so wunderbar glänzten. Meine Haare sind glatt, aber voll. Ich trug sie bisher entweder offen oder praktisch zu einem Pferdeschwanz gebunden. Irgendwelche Färbemittel oder Bleichungen hatten sie bis gestern noch nie gesehen. Sie waren einfach nur von Natur aus blond. Und alle zwei Monate kam Tante Monika zu meinen Eltern und schnitt mir die Spitzen, sozusagen in der Familienrunde.
Jürgen liebt meine Haare. Er findet sie so schön natürlich und unverfälscht. Wenn ich davon sprach, mal
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