Gefürchtet
leckte mit seiner breiten, rauen Zunge die undefinierbare Flüssigkeit von meiner Wange.
Dann schubste er mich weg. »Das ist nur ein Vorgeschmack.«
Merlin drückte sein Gesicht an die Scheibe. »Wir sehen uns.«
Die beiden stiegen in einen schmuddligen roten Kleinbus und fuhren davon, wobei sie eine blaue Abgasfahne hinter sich herzogen.
Ich sprang aus dem Wagen. Ohne mich um die Hühnerknochen und Zigarettenasche an meinem Hals zu kümmern, griff ich mir ein Stück Papier und wischte mir damit das Gesicht ab. Doch so heftig ich auch rubbelte, ich konnte
die Zunge immer noch spüren. Vielleicht brauchte ich eine Hauttransplantation, und das Papier verbrannte ich am besten in einer Giftmüllanlage. Erst jetzt merkte ich, dass der Zettel aus dem Müllsack stammte. Ich ließ ihn fallen und stellte zu meinem Entsetzen fest, dass ich mir das Gesicht mit einem gedruckten Handzettel abgewischt hatte, auf dem ein Foto von Merlin und Murphy prangte.
Ich schob ihn mit dem Fuß zurecht, bis ich den Text lesen konnte. »Feiern Sie mit den Partykönigen - Avalon! Die beste Tanzband in Santa Barbara. Für alle Anlässe: Weihnachtsfeiern, Abschlussbälle, Oldie-Abende!«
Der Weg zur Hölle war mit Discos gepflastert. Burn, baby, burn!
Jesse hielt den Handzettel mit Daumen und Zeigefinger, um ihn so wenig wie möglich zu berühren. »Avalon . Das Bandfoto mit den beiden auf Plateausohlen ist einfach unbezahlbar. Schau dir mal den Nachnamen an.«
»Ming. Die Partydynastie.« Ich umklammerte das Lenkrad mit aller Kraft. »Wenn sie sich als Kredithaie ein Zubrot verdienen müssen, kann die Band aber nicht viel taugen.«
Der Sattelschlepper vor mir auf dem Freeway sprühte Wasser auf den Explorer. Wir hatten Luke bei den Vincents abgesetzt und waren auf dem Weg zu PJs Apartment. Ich hatte geduscht und die Kleidung gewechselt, aber am Fenster knatterte noch immer das zerfetzte Plastik im Wind.
»Es geht womöglich nicht unbedingt um Geldverleih. Vielleicht hat es was mit Drogen oder Hehlerei zu tun«, sinnierte J esse.
»Möglich.« Was hatten die beiden am Strand zu mir gesagt? Gib das Geld zurück, wenn du die Abmachung nicht einhalten
kannst. Das deutete auf ein Geschäft hin, das vermutlich von Anfang an auf Betrug ausgelegt gewesen war.
»Die beiden haben jetzt schon zum zweiten Mal ihren Boss erwähnt«, sagte ich. »Schau dir mal die Rückseite von dem Flyer an.«
Er drehte das Blatt um. »Buchung über Tibbetts Price.«
»Sollen wir?«
»Ihn anrufen? Nein.«
»Er denkt, ich habe sein Geld. Vielleicht kann ich ihn vom Gegenteil überzeugen.«
»Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Nein!«
Das G rün d er r egennassen F elder und Zitronenplantagen leuchtete in der tief stehenden Sonne. Spritzwasser sprenkelte die Windschutzscheibe. Jesse zog sich die rote Bla zers-Kappe tief in die Stirn.
»Wir haben es hier mit kleinen Gangstern zu tun, für die fünfzehntausend eine Menge Geld sind. Dafür bringt man schon mal jemanden um.« Er musterte mich. »Vielleicht ist Brittany Gaines deswegen tot. Und jetzt sind sie hinter dir her.«
Mit dem Gedanken wollte ich mich lieber nicht befassen. Wir hatten die Ausfahrt zur Carneros Road erreicht. Ich fuhr vom Freeway ab und steuerte auf den Strand zu. Von der Überführung aus sahen wir die Universität auf der Steilküste über dem Ozean thronen. Das Meer war ein verwischter blauer Streifen zwischen Erde und Himmel.
»Du bist also auch der Mei nung, dass PJ zu so was nicht fähig wäre«, stellte ich fest.
Er seufzte. »Lass das!«
»Was soll ich lassen?«
Er richtete sich ker zengerade auf. »Hör auf, ihn in Schutz zu nehmen.«
Ich warf ihm einen verblüfften Seitenblick zu. »Das mach ich doch gar nicht.«
»Und ob! Du be tätigst dich mal wieder als Samariterin.«
»Du übertreibst.«
Er lachte sarkastisch. »Evan, das steckt dir im Blut. Hilfsbedürftige ziehen dich einfach an.«
Verdammt! Mir stieg das Blut in den Kopf.
»Jesse, du …«
»Versteh mich nicht falsch. Es ist ein selbstloser Drang. Du bist kein Raubtier, das drauf wartet, dass ein verwundetes Tier hinter der Herde zurückbleibt, um zuzuschlagen. Du willst wirklich helfen.«
Das Licht der sinkenden Sonne ließ die Pfützen gelb schimmern. »Das ist … »
»Aber du kannst PJ nicht daran hindern, sein Leben zu zerstören, und du kannst aus mir keinen Hochspringer machen.«
»Verdammt noch mal, ich … Du kannst doch nicht …«
»Dein Stottern wird immer schlimmer. Am besten
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