Gefürchtet
Vorstellung, dass der berüchtigte Drogendealer Toby Price unbedingt in der Musikbranche bekannt werden wollte, konnte ich nicht einmal lachen. Immerhin leiteten verurteilte Mörder Plattenlabels und moderierten Radioprogramme in Los Angeles.
»Was ist mit den Mings?«, fragte ich.
»Merlin ist sauber. Keine Verhaftungen. Noch nicht mal ein Strafzettel.«
»Und Murphy?«
Sie goss sich in aller Ruhe Ahornsirup auf ihre Pfannkuchen und malte mit der Gabel eine Spirale in die klebrige Flüssigkeit.
Die großen Kinderaugen und das Strubbelhaar trogen nicht. Detective Rodriguez war hart im Nehmen und hatte ein Pistolenholster am Gürtel, aber sie wollte niemanden verletzen.
»Autodiebstahl, Körperverletzung und Raub. Und er hat drei Jahre wegen sexueller Nötigung gesessen.«
Ich konnte den fettigen Geruch geradezu körperlich spüren. Die Stelle, wo seine Lippen meine Haut berührt hatten, brannte.
»Er hat jemanden vergewaltigt?«, fragte ich.
»Das Opfer des Raubüberfalls. Er hat allerdings behauptet, er hätte nur eine Schuld eingetrieben, und das Opfer wäre einverstanden g ewesen.«
»Hat er zufällig gesagt, sie hätte die Wahl gehabt?«
»Er.« Detective Rodriguez ließ die Gabel sinken. »Es war ein Mann.«
Ich stützte die Stirn in die Hand flächen. »Und welche Wahl hatte er?«
»Entweder das Opfer oder dessen Schwester. Übrigens erfolgte die Penetration mit einem Gegenstand.«
»Mit was für einem Gegenstand?«
»Mit einer Brennschere.«
Der Gestank von Schleim, Blut und dreckigem Meerwasser umfing mich.
»Murphy hat Brittany Gaines umgebracht«, sagte ich.
»Dafür haben Sie keine Beweise.«
»Sie ist tot. Toby Price war auf der Party, das habe ich selbst gesehen. Und ich wette, Murphy war auch da.«
»Ich habe mir noch mal den Polizeibericht vom Del Playa House durchgelesen. Darin sind drei Personen namentlich erwähnt: Sie, PJ Blackburn und ein gewisser Bill Smithers.«
»Das war Toby Price. Ist mir egal, wie er sich genannt hat. Wenn Sie ihn dem Beamten beschreiben, wird er Ihnen das bestätigen.«
»Selbst wenn, was beweist das schon?«
»Price ist fünfunddreißig. Was hatte er auf ei ner Studentenfete zu suchen? Sagen Sie bloß nicht, er hätte dort Koks vertickst. Der Kerl ist der Boss, kein klei ner Dealer. Au ßerdem hat er sich benommen, als gehörte ihm der Laden.«
»Na und?«
»Er hat mich auf die Party gelockt. Wenn es nun bei Brittany genauso war?«
»Das sind alles hysterische Spekulationen.«
»Helfen Sie mir! Bitte.«
Sie warf mir einen gequälten Blick zu. Ich legte die Hände mit den Innenseiten nach oben flach auf den Tisch.
»Diese Leute sind hinter mir her. Die haben es auf mich abgesehen.«
»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal.«
»Ich glaube, Brittany musste sterben, weil sie mit mir verwechselt wurde«, sagte ich. »Der Ausweis. Die Kerle haben sie für Evan Delaney gehalten.«
Sie verzog den Mund wie ein Kind bei den Mathehausaufgaben und biss sich auf die Lippe.
»Was wollen Sie damit sagen? Dass sie fünfzehntausend von ihr verlangt haben, und als sie nicht zahlen konnte, haben sie sie umgebracht?«
»Vielleicht.« Ich versuchte vergeblich, an ihrem Gesicht abzulesen, ob sie mir glaubte.
Sie schüttelte den Kopf. »Im Fall Brittany Gaines haben wir schon einen Verdächtigen.«
»Hören Sie doch auf! Sie haben PJ Blackburn, der Angstzustände kriegt, wenn er auf Drogen ist, und Welpen aus dem Tierheim rettet. Und auf der anderen Seite haben Sie Murphy Ming, der mich heute den ganzen Tag lang begrabscht
und irgendeinen armen Kerl mit einer Brennschere vergewaltigt hat.« Plötzlich geriet meine Stimme außer Kontrolle und wurde viel zu laut. »Hat er sie vergewaltigt? Brittany - um Gottes willen, er hat sie doch nicht vergewaltigt, bevor er sie ermordet hat?«
Die Fernfahrer, der Kellner mit der Kaffeekanne und die alten Leutchen in der Nische nebenan starrten uns an. Ich stützte den Kopf in die Hände und zwang mich zur Ruhe.
»Es war Murphy«, sagte ich, als ich wieder normal reden konnte. »Nehmen Sie ihn fest. Sonst bin morgen ich an der Reihe.«
»Ms. Delaney, bisher hat er Sie nur in den Müllcontainer geworfen. Das gibt bestenfalls leichte Körperverletzung.«
»Aber festnehmen können Sie ihn doch!«
»Damit er in zwei Stunden wieder auf freiem Fuß ist? Und was dann?«
»Können Sie die beiden nicht wegen Erpressung oder Drogenhandels festnageln?«
Ich starrte auf meine Hände, die das Platzdeckchen zu Konfetti verarbeitet
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