Gefürchtet
halbautomatische Pistole in der Hand und schob gerade das Magazin in den Kolben der Waffe.
Die beiden zuckten zusammen wie Schulbuben, die auf der Toilette beim Rauchen ertappt werden. Draußen übte Luke mit dem Fingerboard, ei ner zehn Zentimeter langen Taschenversion seines Skateboards. Er war immer noch übersät mit Windpocken, aber das Fieber hatte den Höhepunkt überschritten, und er wirkte schon viel munterer. Ich trat zu Jesse und Brian.
»Super«, sagte ich.
Brian stopfte die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Das ist meine. Ich habe einen Waffenschein und leihe sie Jesse. Nur bis seine Überprüfung abgeschlossen ist und er …«
»Hervorragend«, erwiderte ich. »Hast du noch mehr Munition?«
Die beiden wechselten einen Blick.
»Nur diese Schachtel«, antwortete Brian.
»Das sind bloß zwan zig Schuss«, stellte ich fest. »Jess, kannst du in der Mittagspause Nachschub besorgen?«
»Ich denke schon.«
»Du lässt mir die Waffe doch heute da?«
»Von mir aus.«
Er nahm das Magazin heraus, ließ den Sicherungsbolzen einrasten und legte die Waffe auf den Tisch. Ich ließ mei ne Hand darauf ruhen. Sie fühlte sich solide an und war noch warm von Jesses Berührung. Hätte ich nicht Angst gehabt, vor die Tür zu gehen, wäre ich damit gleich zum Schießstand gefahren und hätte den ganzen Tag lang Kopfschüsse geübt.
Erneut wechselten die beiden bedeutungsvolle Blicke.
»Ruf mich an«, sagte Jesse. »Ich kann in fünfzehn Minuten hier sein.« Er spähte nach draußen, und sein Blick wurde wehmütig. »He, Streuselkuchen!« Das galt Luke. »Ich muss weg.«
Brian brachte ihn zum Auto. Als er zu rückkehrte, hatte ich den Eindruck, dass sie über mich gesprochen hatten. Brian musterte mich verstohlen, bis ich mir vorkam wie ein Monster. Wuchs mir etwa gerade ein Zielfernrohr aus dem Kopf?
»Wenn ich bleiben könnte, würde ich es tun«, versicherte er mir.
»Ich weiß.«
Er schenkte mir Kaffee nach. Ich wärmte mir die Hände an dem Becher.
»Wie lange ist Marc voraussichtlich noch hier?«, erkundigte ich mich.
»Mindestens noch ein paar Tage. Hat er nicht vorbeigeschaut?«
Mit Jesse im Haus? Sehr witzig. Ich zuckte die Achseln und trank meinen Kaffee.
Brian lehnte sich gegen die Küchentheke. »Willst du mir erzählen, was da läuft?«
»Nichts.«
»Schwesterchen, Dupree lässt sich nicht gern in die Karten schauen, aber er ist offenkundig verrückt nach dir.«
Mit einem Schlag fühlte ich mich wieder hundeelend. »Marc hat mir das Leben gerettet.«
»Marc ist ein toller Typ. Auf dei ne Dankbarkeit ist er bestimmt nicht aus«, erwiderte Brian. »Und so wie du im Motel mit ihm geflirtet hast, hat er allen Grund, sich Hoffnungen zu machen.«
Ich wich seinem Blick aus und sah nach draußen. Luke hatte Ohrhörer eingestöpselt und hörte Musik aus ei nem winzigen Audioplayer.
Ich gab ihm ein Zeichen. »Wo hast du den her?«
»Von Jesse.«
Ich kannte das Gerät. Es enthielt Stücke von Hendrix, Clapton und Creedence Clearwater Revival. Lukes Indoktrinierung war in vollem Gang.
»Stell den Ton lauter«, bat ich.
Brian nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich an den Tisch. »Ich muss in zehn Mi nuten los und habe keine Zeit für Ausweichmanöver. Kommen wir also direkt zur Sache.«
Ich zog die Knie an. »Moment, ich muss erst meine Tarnkappe aktivieren.«
»Warum heiratest du Jesse nicht einfach?«, fragte er.
»Ach, Bruder.«
»Liebst du ihn?«
»Ja.«
»Und wieso lässt du dich dann auf keine ernsthafte Beziehung ein?«
»Seit wann betätigst du dich als Heiratsvermittler?«
»Ich habe noch neun Minuten.«
»Er nervt dich die halbe Zeit«, gab ich zu bedenken.
»Betrachte es mal so: Das Glas ist halb voll, nicht halb leer.«
Ich ließ mich auf meinem Stuhl zurücksinken.
»Wo hakt’s denn? Wartest du darauf, dass sei ne Beine in Ordnung kommen?«, fragte Brian.
»Nein.« Ich starrte auf meine Hände. »Das wird nicht passieren.«
»Hast du Angst vor dem Eheleben mit ihm?«
»Seine Behinderung ist für mich kein Thema.«
Er nickte nachdenklich. »Soll ich dir sagen, was ich denke?«
»Tust du doch sowieso.«
Er rückte mit seinem Stuhl näher an mich heran. »Ich glaube, du willst dich einfach nicht festlegen.«
Ich zog so abrupt die Brauen hoch, dass es schmerzte. »Was?«
»Sieh dir doch an, wie du dein Leben organisiert hast. Du arbeitest freiberuflich. Du lebst allein. Du wechselst von einem Job zum anderen.«
»Du meinst, ich bin eine emotionale
Weitere Kostenlose Bücher