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Gefürchtet

Titel: Gefürchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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um mir die Zähne zu putzen. Mittlerweile erschreckte mich mein eigener Anblick im Spiegel schon nicht mehr. Meine Haut schillerte in Schwarz- und Lilatönen, die allmählich ins Grünliche wechselten. Eine Platzwunde zog sich mitten durch meine Augenbraue, und meine Unterlippe
war eine blutige Masse. Schlimm, aber ich hatte mich schon damit a bgefunden.
    Jesse musterte mein Spiegelbild. »Soll ich dich zu dei nem Zahnarzttermin fahren?«
    »Danke, das schaffe ich schon. Ich muss mich dran gewöhnen, wieder selbst zu fahren.«
    Ich schnitt eine Grimasse. Mit fünf gesplitterten Zähnen, zu denen auch die oberen Schneidezähne gehörten, sah ich zum Fürchten aus. Ich legte eine Hand auf Jesses Schulter und quetschte mich neben ihn ans Waschbecken. Seine Haut war kühl, und das Schlüsselbein unter meinem Griff stand viel zu weit vor. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie abgemagert er war. Abgemagert, müde und unnatürlich gefasst. Er stützte mich, trug meine Last, aber wirklich präsent war er nicht. Der Sturm war abgezogen, aber ich wusste nicht, wohin und warum, und hatte keine Ahnung, ob er wiederkehren würde. Die Ruhe war mir unheimlich.
    Jesse band gerade seine Krawatte, als Lily Rodriguez an die Tür klopfte. Montagmorgens schien sie besonders fit zu sein. Ihre Wangen zeigten ein gesundes Rot, und das Strubbelhaar ragte vorwitzig in die Höhe. Sie trug ein billiges braunes Kostüm, während ich noch in ei nem von Jesses Blazers-T-Shirts und meiner Schlafanzughose steckte.
    »Erfreuliche Nachrichten«, sagte sie. »Das Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt wird eingestellt.«
    »Das wird aber auch Zeit«, meinte Jesse.
    »In Anbetracht der Ereignisse und vor allem in Hinblick auf die Entwicklung bezüglich Ihres Bruders, ist das …«
    »Was ist mit meinem Bruder?«, fragte er.
    »Der ist entlastet.« Dann merkte sie, dass sie sich verplappert hatte. »Ich dachte, er hätte Ihnen das erzählt.«

    Jesse hatte seit der Hochzeit nicht mehr mit seiner Familie gesprochen. Es herrschte kalter Krieg.
    »Gegen PJ wird nicht mehr wegen Mordes ermittelt?«
    »Das kri minaltechnische Labor ist auf Hinweise gestoßen, die die Ermittlungen in eine andere Richtung gelenkt haben.«
    »Und in was für eine?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Sie mussten am Fundort oder an Brittany Gaines’ Leiche Spuren entdeckt haben, die der Täter hinterlassen hatte. Fasern, Haare, DNA - und zwar nicht von PJ.
    »Läuft die Fahndung nach Murphy Ming?«, fragte ich.
    »Allerdings. Aber bisher nicht wegen Mordes.«
    Jesse und ich wechselten einen Blick. Entweder reichten die Beweise nicht für einen Haftbefehl, oder die Polizei hielt Murphy für unschuldig.
    »Was ist mit Sinsa?«, erkundigte ich mich.
    »Cynthia Jimson? Nichts.«
    »Haben Sie überprüft, was ich Ihnen gesagt hatte?«
    »Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie mit dem Mord, dem Diebstahl der Schecks, dem Bankkonto, das der falsche Evan Delaney eröffnet hat, oder dem Identitätsbetrug zu tun hatte.«
    »Aber das hat sie!«
    »Sie kannte Brittany Gaines, aber im Augenblick sieht es nach einer rein beruflichen Verbindung aus. Sie hat Brittanys Demo-CD produziert. Nichts deutet darauf hin, dass sie Toby Price kannte. Nada.«
    »Das ist alles? Sonst haben Sie nichts?«
    »Sie hat den Strauß gefangen.«
    Jesse und ich starrten sie an.

    »Bei der Hoch zeit. Ach ja, und da wäre noch ein eigenartiges Detail. Es betrifft allerdings nicht Cynthia Jimson, sondern den BMW-Geländewagen, den sie fährt. Die Sache ist wirklich extrem merkwürdig. Jemand hat tote Raben auf dem Motorblock deponiert.«
    Sie schilderte den Vorfall. Ich fragte mich, ob Shaun Kutner oder die Mings dahintersteckten. Oder Sinsa selbst.
    Lily Rodriguez tätschelte mir den Arm. »Ich muss los. Ich wollte nur kurz nach Ihnen schauen.«
    »Mir geht’s großartig. Zur Miss Universum fehlt mir nur die Tiara.«
    Niemand lachte.
    »Irgendeine Spur von Toby Price und Murphy Ming?«, fragte ich.
    »Die Fahndung läuft. Die beiden werden schon auftauchen.«
    »Hoffentlich nicht vor meiner Tür.«
    »Sie haben ja meine Karte. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen.«
    Wir verabschiedeten uns. Ich sah ihr nach. Wenn Sie mich brauchen? Wenn Murphy durch mein Schlafzimmerfenster stieg, nützte mir die Visitenkarte auch nichts. Die Erinnerung an seine Zunge, seinen Schweiß, seinen fleischigen Körper hatte sich in jede Pore meiner Haut gesetzt.
    Als Jesse mir die Hand auf den Rücken legte, zuckte

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