Gefürchtet
marschierte auf die Haustür zu. Auf halbem Weg merkte ich, dass PJ mir nicht folgte. Er hockte immer noch im Auto und versuchte, hinter der Armaturentafel in Deckung zu gehen.
Als ich die Beifahrertür aufriss, schüttete er gerade eine bunte Pillenmischung aus einer Tüte auf seine Handfläche.
»Das brauchst du nicht«, sagte ich.
Er grabschte nach einer blauen Tablette und warf sie ein, bevor ich ihn daran hindern konnte. »Das ist Valium. Was ist dein Problem? Jesse nimmt ständig Valium.«
Diazepam. »Zur Muskelentspannung, weil er chronische Schmerzen hat, nicht gegen Liebeskummer, du Schwachkopf.«
»Ich will nur den Schlag ein bisschen abmildern. He …« Ich riss ihm die Tüte aus der Hand, aber er stopfte die übrigen Pillen in seine Hosentasche.
»Hast du eine Probemischung für den Nachmittag mitgebracht?« Dann wurde mir klar, dass jedes Wort verschwendet war. Mei ne Belehrungen konnte ich mir sparen. »Wehe, es ist Viagra dabei!«
Ich packte ihn am Arm und schleifte ihn zur Haustür.
PJ marschierte geradewegs ins Haus, schließlich gehörte er zum Personal. Die Haushälterin saugte im Wohnzimmer
unter dem Stechapfelbild. PJ winkte und fragte, wo Ricky war. Sie deutete nach oben, in Richtung Studio.
Als wir die Treppe hinaufstiegen, hörten wir Musik.
»Ricky?«, rief PJ.
Durch die Tür sahen wir Ricky an der Aufnahmekonsole lehnen. Auf dem Sofa hinter ihm türmten sich seine alten Bühnen-Outfits, hautenge Stretchkostüme in den grellsten Farben. Er selbst trug ei nen Catsuit mit blauschwarzem Leopardendruck und starrte uns aus blutunterlaufenen Augen an.
»Peej. Hilfe!«
Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen, und er steckte in dem Catsuit wie die Wurst in der Pelle.
PJ stürzte an mir vorbei ins Studio. »Was ist denn los, Ricky?«
»Ich sitze fest. Der Reißverschluss. Verdammt noch mal, ich krieg überhaupt keine Luft mehr.«
Der Reißverschluss war bis über das Brustbein zugezogen. PJ packte den Schieber und riss. Ricky jaulte auf.
»Das Ding hat sich in meinem Brusthaar verklemmt.«
Die beiden kämpften vergeblich mit dem Reißverschluss. Seufzend holte ich meinen Schlüsselbund heraus, an dem ein kleines Schweizer Messer hing. Ich klappte es auf. »Soll ich das erledigen?«
»Nein. Das ist ein Originalkostüm.« Aber er krallte verzweifelt die Finger in den Kragen und zerrte an dem hautengen Stoff, während sich PJ mit dem Reißverschluss abmühte.
»Es hat keinen Sinn, Ricky«, sagte er schließlich.
»Dreh dich um«, befahl ich.
»Wenn es sein muss.«
Ich schnitt den Bodysuit an der hinteren Naht auf. Ricky quoll geradezu heraus.
»Danke.« Er holte tief Luft. »Karen und Sin sind nicht hier. Ich hatte schon Panik.«
Der Anzug schlabberte um ihn herum wie ein geplatzter Ballon. Ricky ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Das treibt mich echt in den Wahnsinn, Mann. Nach Tigers Unfall und den Raben auf dem Motorblock hab ich schon alle Kostüme mit Flammenmotiven w eggeworfen. Aber dass die Tierdrucke jetzt auch noch Ärger machen …«
An sich hatte er mein aufrichtiges Mitgefühl, aber irgendwo war Schluss. »Ricky, du hast im Augenblick ganz andere Probleme.«
Er musterte mich. »Du siehst ziemlich mitgenommen aus.«
»Ich habe schlechte Neuigkeiten«, erwiderte ich.
»Und du bist auch nicht gerade das blühende Leben«, meinte er nach einem Blick auf PJ. »Was ist los?«
PJ trat zum Erkerfenster und ließ sich auf die Sitzbank fallen. Draußen tauchte der La Cumbre Peak blau und golden schimmernd aus den Wolken auf.
»Es geht um Sinsa«, sagte ich.
Ricky runzelte die Stirn.
»Wo ist Karen?«, fragte ich.
»Oben im Tal. Sie schaut sich das Weingut an, auf dem wir nächste Woche auftreten, und kommt erst heute Abend zurück.« Er blickte von mir zu PJ. »Was ist passiert?«
»PJ wird es dir sagen.«
Vielleicht setzte bereits die Wirkung des Valiums ein, oder der Durst nach Rache hatte jedes andere Gefühl aus PJs gebrochenem
Herzen verdrängt. Jedenfalls war seine Stimme völlig ausdruckslos.
»Sie hat mich ruiniert, Ricky. Sie hat uns alle ru iniert.«
Ricky hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt. Das blonde Haar hing ihm ins Gesicht, und sein Bodysuit erinnerte an einen zerfetzten Latexhandschuh. Von der Winston in seiner Hand stieg Zigarettenqualm auf.
»Du scheinst nicht überrascht«, stellte ich fest.
»Bist du dir sicher? Wirklich hundertprozentig sicher?«
Ich gab ihm Kopien der Rechnungen für das Kasja-Benko-Kleid und die Unterlagen
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