Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
seinem Sohn nie erzählt, wie sein Bruder Esteban getötet wurde, wie sich diese Schrotflinte in seiner Hand angefühlt hatte und wie ger ne er sich gerächt hätte. Er hatte ihm nie erzählt, wie hart er gekämpft hatte, um seine Unternehmen aufzubauen, und wie viele Risiken er eingegangen war. Er hatte ihm nie erzählt, wie viele Nächte er nicht geschlafen hatte, um seinem Jungen alles geben zu können, wovon dieser träumte, alles. Aber das alles würde be deutungslos werden. Alle Zeit der Welt, alle Erklärungen und alle Entschuldigungen würden die Tatsache nicht ändern können, dass die Lüge der Tod war.
Ein Stück von Jorge Rojas musste heute Nacht sterben.
Gewehrschüsse direkt vor dem Tresorraum holten ihn wieder in die Gegenwart zurück.
Aber dann fiel ihm etwas auf: Wo war eigentlich Alexsi? War sie bereits in ihrer Gewalt?
Das Licht ging an, als Rojas den rechteckigen Raum betrat, der zwar nicht breiter als 3 Meter, dafür aber 15 Meter lang war. Auf beiden Seiten standen Stahlregale, die unter dem Gewicht des in ihnen gelagerten Bargelds beinahe zusammenbrachen. Es waren amerikan ische Dollarnoten, Millionen und Abermillionen US - Dollar, vielleicht 500 Millionen oder mehr – Rojas wusste es selbst nicht.
So viel Geld an einem einzigen Ort zu sehen würde wohl jeden kurzzeitig lähmen, die Notenbündel waren so aufeinandergeschichtet, dass sie richtiggehende grün gefleckte Geldwände bildeten. Rojas hatte sich einmal überlegt, dass diese Banknoten die Seiten einer langen und spektakulären Chronik seines Lebens sein könnten. Und nein, sie waren nicht blutgetränkt. Am Ende dieses dritten Tresors standen noch einige Regale voller Schusswaffen und Munition, dieses Mal jedoch keine Sammlerstücke wie in den äußeren Tresorräumen, sondern die Mata policía- Pistolen und Sprengkörper, die Samad geliefert hatte und die inzwischen aus Kolumbien hierhergeschmuggelt worden waren. Am Ende dieses Innentresors öffnete sich ein Betondurchgang in einen Tunnel, der zu der kleinen Garage auf der Anhöhe führte. Die Tunnelwände waren mit einem Gerüst aus druckbehandeltem Holz, Betonschalsteinen, Stahlbeton und Zement verstärkt worden. Einen solchen Durchgang hätte Rojas gerne auch zwischen Juárez und den Vereinigten Staaten errichtet. Er war sogar noch weit raffinierter und ausgefeilter als der Tunnel, den Castillo leider zerstören musste.
Er machte sich gerade auf, um durch den Durchgang den Tunnel zu betreten, als hinter ihm ein Soldat den Tresorraum betrat und ein Gewehr auf ihn richtete.
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S amad setzte sich in seinem Bett auf. Der schwache Schein seines Handys warf lange Schatten auf die Zim merdecke. Talwar, Niazi und das übrige Los-Angeles-Team schliefen in den anderen Zimmern. Rahmani würde ihn jeden Moment anrufen, um sich über die Probeläufe zu informieren. Samad wünschte, der Alte würde sich endlich melden, denn er fühlte sich völlig ausgelaugt. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Ihr Vorhaben, dessen Komplexität und Kühnheit und der schiere Wille, der dazu nötig war, forderten ihn bis an seine Grenzen. Er würde nie offen Schuldgefühle zugeben, aber je näher dieser schicksalhafte Moment rückte, desto stärker und schwerer wurden seine Bedenken.
Sein Vater war das Problem. Das alte Foto sprach zu ihm, es wollte ihm mitteilen, dass dies keinesfalls Allahs Wille sein konnte. Allah wollte nicht, dass unschuldige Zivilisten heimtückisch getötet wurden. Man müsse den Ungläubigen ihre Irrtümer aufzeigen und sie nicht wegen dieser Irrtümer ermorden. Das alte Bild erinnerte ihn an den Tag, als sein Vater ihm eine Tüte mit Schokolade in die Hand gedrückt hatte. »Woher hast du die?«, hatte Samad gefragt. »Von einem amerikanischen Missionar. Die Amerikaner wollen uns helfen.«
Samad presste seine Augen zusammen und ballte seine Hände so fest zur Faust, dass ihm die Nägel tief in die Haut eindrangen, als ob er nur auf diese Weise seinen Körper von diesen Schuldgefühlen befreien könnte, sie also wie ein Fieber ausschwitzen könnte. Er musste unbedingt meditieren, er musste zu Allah beten und ihn um seinen Frieden bitten. Ihm kam die 8 . Sure des Koran in den Sinn: O Prophet, feuere die Gläubigen zum Kampf an. Sind auch nur zwanzig unter euch, die Geduld haben, so sollen sie zweihundert überwältigen; und sind einhundert unter euch, so werden sie eintausend von denen überwältigen,
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