Gegen alle Zeit
starb, nahm Mr. Blake schleunigst Reißaus und ward nie mehr gesehen.
Blueskins Mutter unternahm allerlei Anstrengungen, um die peinliche Herkunft ihres Sohnes zu verschleiern und den Grund für seine Hautfarbe zu einem Mysterium zu machen. Sie behauptete felsenfest, ihr Joseph sei erst nach der Rückkehr aus Amerika gezeugt worden und Nathaniel Blake unbestreitbar der Vater des Kindes. Da Nathaniel nicht mehr zugegen war, um das Gegenteil zu behaupten, und Jane bald nach Nathaniels Verschwinden mit den Kindern in einen anderen Stadtteil zog, blieb die merkwürdige Hautfarbe ein Rätsel. Seine Mutter befeuerte die Spekulationen durch immer neue und stets wechselnde Erklärungen: Mal war Joseph als Säugling schwer an den Augen erkrankt und mit einem Medikament namens »Höllenstein« behandelt worden, das angeblich die Haut verfärbte. Dann wieder behauptete sie, ihr Sohn sei von einer alten Zigeunerin verhext worden, die ebenfalls pflaumenblaue Haut gehabt habe. Und schließlich spottete sie, halb im Scherz, Joseph sei kurz nach der Geburt in eine Sickergrube gefallen und der Dreck habe sich für alle Zeit in seine Haut eingebrannt. Und in sein nichtsnutziges Hirn.
Blueskin wusste es besser, auch wenn er seine Mutter nie dazu gebracht hatte, ihm die beschämende Wahrheit zu gestehen. Er ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen. Zwar gab es ihm bisweilen zu denken, dass die dunkelhäutigen Sklaven, von denen es in den Londoner Herrenhäusern nur so wimmelte, allesamt schwarz oder braun, nie aber dunkelblau waren, doch wer konnte schon ahnen, was es in Westindien für merkwürdige Gestalten gab und was die Mischung des Blutes alles bewirken konnte.
Das spielte auch keine Rolle mehr. Jetzt versperrte ihm jedenfalls seine verdammte Hautfarbe den Zugang zu seiner kleinen Schwester. Und er hatte keine Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.
3
Es war Poll, die auf die Idee mit den Frauenkleidern kam. Vielleicht weil der gleiche Kniff bei Jacks Befreiung aus dem Newgate-Gefängnis so gut funktioniert hatte. Oder weil ihr die Vorstellung, den bekennenden Weiberhasser Blueskin in Petticoat und Rüschenkleid zu sehen, einen Heidenspaß bereitete.
So einfach und naheliegend Polls Idee auch war, Blueskin wäre niemals selbst auf den Gedanken einer solchen Maskerade gekommen. Nicht weil er es erniedrigend oder lächerlich gefunden hätte, in Frauenkleider zu schlüpfen, sondern weil es schlichtweg nicht Blueskins Art entsprach, Umwege zu machen und die direkte Konfrontation zu meiden. Er hatte tagelang gegrübelt und sich das Hirn zermartert, wie er Hope mit Gewalt aus dem Irrenhaus befreien und dabei die Wärter überwältigen könnte, die sich ihm zwangsläufig in den Weg stellen würden, sobald sie ihn und seine blaue Visage erkannt hätten. Sollte er einen Frontalangriff zur Besuchszeit wagen oder nächtens das vergitterte Fenster mithilfe eines Fuhrwerks aus der Mauer reißen? Und konnte er auf die Unterstützung seiner Kumpane bei dieser gefährlichen Unternehmung zählen?
Der Einzige, mit dessen Hilfe er rechnen konnte, war Henry Ingram, denn bei ihm hatte er noch etwas gut. Ausgerechnet Macheath, dieser seltsame Kauz! Doch Henry war, ebenso wie Bess, seit der Flucht aus Wild’s House wie vom Erdboden verschluckt. So hatte es Poll zumindest in Erfahrung gebracht. Niemand wusste, was aus den beiden geworden war.
Und dann kam Poll mit ihrer Idee, und alles war mit einem Mal ganz einfach und logisch. Frauen trugen bei jedem Wetter Handschuhe und hochgeschlossene Dekolletés, jedenfalls wenn sie vornehm und tugendhaft waren. Und ein Schleier vor dem Gesicht war ebenfalls nichts Ungewöhnliches, es galt sogar als schick und modisch, sich von Kopf bis Fuß zu vermummen. Niemand würde Blueskins Haut zu sehen bekommen, seine Narbe auf dem Kopf würde unter einer falschen Lockenpracht verborgen sein, und die schmerzenden Brandblasen auf der Schulter und den Armen ließen sich ebenfalls notdürftig bandagieren, ohne aufzufallen. Ganz simpel und dennoch wirksam.
Das einzige Problem bestand darin, ein passendes Kleid für Blueskin zu finden. Bei dem schmächtigen Jack war die Sache einfach gewesen, er hatte eines von Polls Kleidern angezogen, das sie unter ihrem Petticoat ins Gefängnis geschmuggelt hatte. Doch Blueskin würden Polls Kleider nicht passen. Auch Jenny Diver war viel kleiner als er. Eher schon hatte er Bess’ Größe, doch die war ja verschollen, und wie Poll bei einem Besuch in Little Britain
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