Gegen alle Zeit
zudem sehr kleine Fenster waren in den Außenwänden zu erkennen, und einen Ausgang zum Hof konnte Blueskin ebenfalls nirgends entdecken. Wahrscheinlich gab es nur den direkten Zugang vom Zentralgebäude aus. Aus diesem Trakt, so schien es, gab es kein Entkommen. Wenn er denn erst einmal fertiggestellt war.
Doch noch befand sich das Haus im Bau, und das Gerüst wirkte auf Blueskin wie eine Einladung, auch wenn nirgends eine Leiter zu sehen war, um die unterste Ebene zu erklimmen. Er stieg auf die Sprossen des mannshohen Antriebsrades, zog an dem Lastenseil, bis es sich spannte, und hangelte sich an dem Seil des Krans hinauf bis in den zweiten Stock, wo die waagerechten Bohlen des Gerüsts begannen. Von hier aus führten kleine Holzstiegen in den dritten Stock und schließlich durch eine Öffnung im Giebel aufs Dach. Außer dieser Giebeltür gab es in der gesamten Südfassade keine einzige Öffnung, und auf der Hofseite, wo sich schmale, schießschartenartige Fenster im Gemäuer befanden, war das Gebäude nicht eingerüstet. Blueskin blieb nur der Weg über den Dachboden. Und die Hoffnung auf eine Dachluke.
Tatsächlich fand er am hinteren Rand der Ebene, die mit Holzbalken und Dachziegeln vollgestellt war, eine eiserne Falltür. Doch sie ließ sich nicht nach oben klappen, weil sie von unten verriegelt war. Mit einem krumm geschlagenen Nagel, den er auf dem Boden fand, versuchte Blueskin den Riegel zur Seite zu schieben, doch das gelang nicht. Vermutlich weil er auf der Unterseite mit einem Vorhängeschloss versehen war. Ohne Werkzeug war der Falltür nicht beizukommen, doch leider konnte er nichts dergleichen auf dem Dachboden entdecken. Die Zimmerleute und Maurer schienen gut auf ihre Gerätschaften aufzupassen. Nur einen alten Hammer fand er zwischen den Ziegeln, doch der schied aus naheliegenden Gründen als Werkzeug aus.
Blueskin setzte sich auf den Boden und dachte nach. Von irgendwoher drang ein leises Brummen an sein Ohr. Zunächst glaubte er, dass das Geräusch aus dem Hauptgebäude stammte, wo die Schwachsinnigen in ihren Träumen seltsame Laute von sich gaben, die wie unheimliche Gespensterklagen durch die Mauern drangen. Doch das tiefe Brummen kam aus einer anderen Richtung.
Er verließ die Luke und wandte sich zur Westseite des Hauses, von wo man bis zum nahe gelegenen Stadttor von Moorgate schauen konnte. Wieder brummte es unter ihm, und als er genauer hinhörte, erkannte er, dass dort jemand schnarchte. Wie auf der Hofseite befanden sich auch auf der Westseite des Hauses schmale Scharten in der Fassade, die so winzig waren, dass sie nicht vergittert werden mussten. Und hinter einer dieser Scharten schlief jemand.
»Henry?«, rief Blueskin leise, doch ihm antwortete nur ein weiteres Schnarchen. »Bess?«, versuchte er es ein zweites Mal. Doch nichts geschah, niemand hörte ihn. Lauter zu rufen wäre zu gefährlich gewesen und hätte entweder die Wärter von Bedlam oder die Nachtwächter am Moorgate alarmiert. Und näher an das schmale Fenster vermochte er nicht heranzureichen.
Sein Blick ging zur Giebelseite des Hauses, zu dem Flaschenzug und dem Galgen, an dem er befestigt war. Dieser bewegliche Winkelbalken ließ sich zur Seite schwenken, und wenn das Lastenseil lang genug war, konnte er sich an ihm an der Westfassade herunterlassen. Blueskin fand ein etwas dünneres Seil auf dem Dachboden, band sich das eine Ende um den Bauch und befestigte das andere an dem Haken des Lastenseils. Nun zog er das Seil stramm, ging damit zur Westseite, legte es um eine Dachsparre und ließ sich von der Traufe Yard um Yard nach unten, wobei er immer darauf achtete, dass das Seil straff blieb und sich nicht aus dem Haken löste. Als er den zweiten Stock erreicht und sich der Scharte genähert hatte, aus der das Schnarchen zu kommen schien, hielt er seinen Mund an die Öffnung und rief: »Henry! Bist du das?«
Als Antwort grunzte es, dann verstummte das Schnarchen. Und kam nicht wieder. Nicht einmal ein Atmen war zu hören.
»Henry?«, flüsterte Blueskin. »Bist du wach?«
»Wer ist da?«, antwortete eine verschlafene weibliche Reibeisenstimme.
»Bess?«
»Ay?«, kam es zögerlich durch die Öffnung.
»Ich bin’s, Blueskin.« Er versuchte, durch die schmale Scharte etwas zu erkennen, doch im Inneren war es so finster wie in einem Grab. »Hörst du mich?«
»Ay, ich höre dich.« Ihre Stimme klang ängstlich und verstört. »Was willst du von mir?«
»Na, was wohl? Ich will dich holen.«
»Nein!«, schrie
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