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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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»Erst will niemand was von dem Brief wissen, und plötzlich stehen sie Schlange, um ihn zu überreichen! Erst Macheath und dann Blueskin.«
    »Blueskin ist tot«, behauptete Bess.
    »Zumindest wird er es bald sein«, antwortete Mr. Wild lachend. »Heute Nacht noch, um genau zu sein. Dem guten Jack sei Dank!«
    »Verdammter Verräter!«
    »Auge um Auge, meine Liebe!«, lachte Mr. Wild. Seltsamerweise erkundigte er sich anschließend nach dem Hurenhaus in Little Britain und ob Mutter Needham etwa auch ihre hässliche Nase in fremder Leute Briefe gesteckt habe. Außerdem wollte er von Bess wissen, was es mit dem Friedhof von St. Botolph auf sich habe.
    Bess hörte seine Worte, begriff aber ihren Sinn nicht.
    Die erstaunlichste Nachricht erhielt sie allerdings am folgenden Dienstagmittag. Und es war der Wärter Seamus, der die Botschaft mit vor Schadenfreude strahlendem Gesicht überbrachte.
    »Tja, jetzt ist es aus mit deinem Schätzchen!«, rief er boshaft.
    »Henry ist tot?«, fragte sie und hatte das Gefühl, dass ihr Atem aussetzte. Ihr Herz schlug wie wild, ihr wurde übel, und sie musste zu Boden schauen, um Seamus ihre Gefühle nicht zu verraten.
    »Welcher Henry?«, antwortete Seamus verwirrt. »Ich rede von Jack Sheppard. Und er ist nicht tot, sondern in Newgate. Auf einer Schubkarre angeliefert! Gefesselt und geknebelt. Wie ein Stück Vieh.«
    »Gott sei Dank!«, entfuhr es Bess, allerdings so leise, dass der Wärter es nicht hörte. Dann erst begriff sie, was Seamus gerade gesagt hatte, und fragte: »Auf einer Schubkarre?«
    »Ja!«, rief er und klatschte begeistert in die Hände. »Die ganze Stadt redet davon. Keiner kann es sich erklären, aber wie es scheint, hat jemand deinen Freund vor dem Newgate abgestellt und an die Tür der Lodge geklopft. Als man öffnete, stand niemand auf der Straße. Nur eine beladene Schubkarre mit einer Wolldecke über der Ladung. Und als die Schließer unter die Decke schauten, haben sie Jack gefunden. Ohnmächtig, mit blutendem Schädel und vertäut wie ein Paket. Und auf seiner Brust lag eine Zeitung vom Freitag.«
    »Eine Zeitung?«
    »Ja, der Daily Courant mit Jacks Steckbrief«, antwortete Seamus und kratzte sich das unrasierte Kinn. »Wo drinsteht, dass es zwanzig Guinees für ihn gibt. Und das ist eben das Seltsame. Findest du nicht?«
    Bess schaute ihn fragend an.
    »Na ja«, meinte der Wärter, während er weiter in den Barthaaren pulte. »Da macht sich jemand die Mühe, Jack zu fangen und zu fesseln. Karrt ihn zum Newgate und liefert ihn am Gefängnis ab. Aber statt die zwanzig Goldmünzen einzustreichen, verschwindet der Kerl einfach. Ist doch komisch, oder?«
    »Findet Mr. Wild das auch so komisch?«, fragte Bess grinsend.
    »Mr. Wild? Wieso?« Seamus schien eine Laus in den Barthaaren gefangen zu haben, hielt sie zwischen den Fingern und knackte sie kaputt. »Freuen wird er sich schon, dass Jack wieder einsitzt. Auch wenn er gern selbst das Kopfgeld kassiert hätte. Aber damit ist es natürlich jetzt Essig.«
    »Und niemand weiß, wer’s war?«
    Seamus zuckte mit den Schultern. »Es wird ’ne Menge geredet. Angeblich wollen mehrere Leute einen Mann und eine Frau gesehen haben, die mitten in der Nacht eine beladene Schubkarre an der Stadtmauer entlanggeschoben haben. Das Seltsame ist jedoch, dass die einen sagen, es war in Aldgate, und die anderen, es war in Cripplegate.«
    »Das würde ja bedeuten, dass sie die Schubkarre einmal rings um die Stadtmauer geschoben haben«, erwiderte Bess zweifelnd.
    Wieder hob Seamus die Schultern. »Wie auch immer, jedenfalls sitzt dein Schatz wieder hinter Gittern. Genau wie du. Aber diesmal werdet ihr euch nicht gegenseitig befreien. Jetzt geht’s euch an den Kragen!« Er lachte ihr ins Gesicht, tippte sich spöttisch an die Schläfe und setzte sich an seinen Tisch, wo er den Rest des Nachmittags schweigend verharrte.
    Bess hockte sich auf ihren Strohsack und versuchte, sich einen Reim auf alles zu machen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Dass Jack im Newgate eingesperrt war, freute sie über alle Maßen – nicht nur, weil er es verdient hatte, sondern auch, weil es Mr. Wild so gar nicht in den Kram passte. Vermutlich hatte er getobt, als er davon erfahren hatte, denn ein so wertvoller Spitzel wie Jack war nicht alle Tage anzuheuern. Gemeinsam wären die beiden besonders gefährlich und mächtig gewesen. Während Mr. Wilds Macht auf Schrecken und Einschüchterung beruhte, gründete Jacks Macht auf Beliebtheit und

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