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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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es wagen konnte, vor Gericht einen derartigen Mordversuch zu unternehmen, antwortete Blueskin ohne jedes Anzeichen von Reue: »Es tut mir nur leid, dass ich kein besseres Messer hatte, um ihm den Kopf ganz abzuschneiden.«
    Die Nachricht vom Anschlag auf Mr. Wild sprach sich schnell bis ins benachbarte Newgate-Gefängnis herum und sorgte dort für anhaltende Tumulte. Das Gefängnis stand Kopf! Und es war sicherlich kein Zufall, dass in derselben Nacht Jack Sheppard die Unaufmerksamkeit der Wächter nutzte und seine spektakuläre Flucht aus dem Castle unternahm.
    Blueskin wurde am 11. November in Tyburn hingerichtet. Auf dem Weg zum Galgen wurde ihm von den Umstehenden ein ums andere Mal ein Glas Branntwein oder Sherry gereicht, und als der Karren in Tyburn ankam, war Blueskin so betrunken, dass er taumelnd unter dem Galgen stand und seine letzte Rede zu einem unverständlichen Lallen wurde. Einige der Anwesenden, die direkt neben dem dreibeinigen Gestell standen, beteuerten anschließend, Blueskin habe seinen inzwischen wieder verhafteten Freund Jack des Verrats bezichtigt und einen gewissen Henry Ingram oder Macheath (die Aussagen gingen in dieser Hinsicht auseinander) als Zeugen genannt.
    Nach seinem Tod wurde Blueskin noch einige Tage in einer Schänke am Holborn Hill aufgebahrt und anschließend auf dem nahen Friedhof von St. Andrew begraben. Niemand veröffentlichte seine Memoiren, und bis heute ist kein authentisches Bildnis des Räubers überliefert.
    Wenig später jedoch wurde ein Lied auf den Straßen Londons gesungen, das als »Blueskins Ballade« bekannt wurde und bei dem es sich um ein spöttisches Loblied auf den Mordversuch an Mr. Wild handelte. Die Ballade stammte, so wurde gemunkelt, aus der Feder eines gewissen John Gay.
    Poll Maggott sah Blueskin nicht sterben. Sie hätte es nicht ertragen, ihn am Strick baumeln zu sehen, und blieb daher der Hinrichtung fern. Auch als er am Holborn Hill aufgebahrt lag, brachte sie es nicht übers Herz, seine Leiche zu betrachten, geschweige denn anzufassen. Poll wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie sie ihn in den letzten Wochen seines Lebens erlebt hatte. Die Nachwelt würde sich, wenn überhaupt, an Joseph Blake als einen verderbten, brutalen, rücksichtslosen und hinterhältigen Ganoven erinnern. Einen gefährlichen Irren, wie ihn selbst seine einstigen Kumpane nannten. Doch Poll hatte ihn anders erlebt. Und lieb gewonnen. Trotz allem.
    Blueskins innige Beziehung zu seiner schwachsinnigen Schwester Hope gehörte in Polls Augen ebenso zu seinem Wesen wie die plötzlichen und übertriebenen Ausbrüche von Gewalt und Rachsucht, die ihn mitunter völlig in Beschlag nahmen und die Kontrolle über sich selbst verlieren ließen. Poll kannte Blueskins unerklärliche Launen und fürchtete sich vor seiner Raserei, aber sie hatte eben auch den liebevollen und hilfsbereiten Blueskin kennengelernt, auf den man sich bedingungslos verlassen konnte. Vermutlich war sie neben Hope die einzige Frau, der er diese sanfte Seite seines Wesens jemals offenbart hatte.
    Poll wusste nicht, ob sie beide wirklich eine gemeinsame Zukunft gehabt hätten, doch allein der Gedanke daran bot ihr einen gewissen Trost. Als er an jenem Tag im Oktober nicht vom Coal Yard zu ihr in die Petticoat Lane zurückgekehrt war, wie er es versprochen hatte, da hatte sie zunächst geglaubt, er habe es sich im letzten Augenblick anders überlegt und sie im Stich gelassen. Gemeinsam hatten sie der Stadt den Rücken kehren und sich an der Südküste ansiedeln wollen, wo Polls entfernte Verwandte als Fischer lebten und wo niemand von ihrem Vorleben wusste. Poll hatte geahnt, dass Blueskin nicht für ein normales Leben oder harte und schlecht bezahlte Schufterei taugte, und so hatte sie beinahe damit gerechnet, dass sie ihn niemals wiedersehen würde. Doch dass es nun auf diese grausame Weise geschah, brach ihr das Herz, und sie schämte sich dafür, dass sie an ihm gezweifelt hatte.
    Als Blueskin auf dem Friedhof von St. Andrew begraben wurde, stand Poll Maggott neben Edgworth Bess an seinem Grab und nahm schmerzvoll und unter Tränen Abschied von einem Mann, der ihr in gewisser Weise immer ein Rätsel geblieben und dennoch näher gewesen war, als sie es jemals für möglich gehalten hätte. Als die Erde auf den Sarg fiel, krümmte sie sich vor Pein und wäre beinahe ins Grab gefallen, wenn Bess sie nicht am Ärmel gehalten hatte. Bess schien sich über Polls immense Trauer zu wundern, unterließ es aber,

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