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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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sieben Jahre zuvor jakobitische Verschwörer eingesessen, doch seit deren Hinrichtung stand der Raum leer. Mit dem spärlichen Werkzeug, das er besaß, und ohne jedes Licht knackte Jack das Türschloss des Red Rooms und die Schlösser weiterer Türen und drang in die Kapelle des Newgate-Gefängnisses ein, wo er einen Metalldorn aus einer Bewehrung brach, mit dessen Hilfe er zwei weitere Türen öffnete und schließlich auf das Dach des Gefängnisses kletterte. Nun war er zwar aus dem Gebäude entkommen, doch unter ihm tat sich ein Abgrund von beinahe sechzig Fuß auf. Ein Sprung hinunter wäre einem Selbstmord gleichgekommen.
    Also ging Jack, immer noch mit den Eisen an den Füßen, den ganzen Weg zurück bis in seine Zelle, wo er sich die Bettdecke um den Körper schlang. Anschließend kletterte er ein zweites Mal durch Kamin, Red Room und Kapelle bis hinauf aufs Dach, rammte den Metalldorn in die Traufe, befestigte die in Bahnen zerrissene und verknotete Decke daran, ließ sich herunter und sprang auf das Dach eines Nachbarhauses. Er drang in das Dachgeschoss ein, ging unbemerkt auf der Treppe nach unten und trat ungehindert durch die Vordertür in die Freiheit.
    Die Kunde von Jacks abermaligem Entkommen aus Newgate ging wie ein Lauffeuer durch London. War seine letzte Flucht in Frauenkleidern bereits bemerkenswert und erstaunlich gewesen, so erntete er mit diesem Ausbruch noch weitaus heftigere Reaktionen. Die Gauner jubelten unverhohlen, das gemeine Volk lachte schadenfroh, die Autoritäten schäumten vor Wut, die Zeitungen berichteten auf den ersten Seiten über ihn, Lieder und Balladen wurden auf »Jail-breaker Jack« gedichtet und auf offener Straße vorgetragen, und bereits vier Tage nach der Flucht erschien eine erste Biografie des Räubers, geschrieben von Daniel Defoe, dem berühmten Autor des Robinson Crusoe .
    Jack jedoch sollte nicht lange Freude an der wiedergewonnenen Freiheit haben. Nachdem er sich einige Tage in einem Kuhstall nahe der Tottenham Court Road versteckt gehalten hatte, überredete er einen fahrenden Schuhmacher, ihn gegen ein geringes Entgelt von den Fußfesseln zu befreien. Statt jedoch anschließend der Hauptstadt den Rücken zu kehren, wie es ratsam gewesen wäre, tat Jack das genaue Gegenteil. Als Bettler verkleidet, kehrte er in die City zurück und amüsierte sich mit seiner Geliebten Kate Cook, in deren Wohnung er Unterschlupf fand. Er beging in den folgenden Tagen einige kleinere Einbrüche, schlenderte in der gestohlenen Kleidung eines Gentlemans, mit Perücke auf dem Kopf und Silberschwert an der Hüfte, durch die Straßen und betrank sich in den Schänken und Hurenhäusern, zumeist begleitet von Kate Cook oder anderen Gespielinnen. Ob er sich zu sehr auf seine Verbindung mit dem Generaldiebesfänger Jonathan Wild verließ, ob ihm sein Leben schlichtweg nichts galt oder ob ihm sein ungeheurer Ruhm zu Kopf gestiegen war, lässt sich rückblickend schwerlich sagen. Fest steht jedoch, dass Jack Sheppard am Morgen des 1. November 1724 in einer Schänke erkannt und von einem herbeigerufenen Konstabler festgenommen wurde. Jack war sturzbetrunken und nicht in der Lage, sich der Verhaftung oder seiner Verbringung ins Newgate-Gefängnis zu widersetzen. Eine seltsam banale Festnahme nach einer derart abenteuerlichen Flucht.
    Diesmal wurde er in den Middle Stone Room , gleich neben dem Castle , eingesperrt, mit dreihundert Pfund Eisen in Form von Schellen, Fesseln und Ketten belegt und rund um die Uhr bewacht. Seine Zelle war für kurze Zeit die Hauptattraktion der Stadt, mehrere Tausend Menschen zahlten einen erhöhten Eintritt, um den berühmten Räuber und Ausbrecherkönig zu sehen, und weiteres Handgeld, um einige Worte mit ihm zu wechseln. Unter den Besuchern befanden sich so illustre Herren wie Daniel Defoe, der seine Biografie auf den neuesten Stand bringen wollte, oder der Hofmaler Sir James Thornhill, der in der Zelle Skizzen für ein geplantes Ölgemälde anfertigte. Angeblich im Auftrag des Königs.
    Obwohl wenige Tage später das Todesurteil bestätigt und die Hinrichtung für Montag, den 16. November, festgesetzt wurde, verlor Jack niemals seine gute Laune und seinen ansteckenden Humor. Er genoss seine Popularität, gab freimütig Auskunft über sein Leben und seine Gaunereien und schien sich keine Sorgen wegen seines baldigen Todes zu machen. Auf die Frage eines Priesters, wie er es mit dem geistlichen Beistand oder dem tröstenden Wort Gottes halte, soll Jack lachend

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