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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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die Nase gleich mehrfach aufgeschlitzt hatte. Die Schnitte an den Nasenflügeln waren deutlich im Kerzenschein zu sehen.
    »Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?«, krächzte Mr. Pepusch und konnte seine Erleichterung doch nicht verbergen. Er schob sich die weiße Perücke, die ihm in den Nacken gerutscht war, nach vorn und sagte: »Ihr habt hier nichts zu suchen.«
    »Was ist geschehen?«, fragte Bess, beugte sich über den Verwundeten und reichte ihm ein weißes Tuch, das sie aus ihrem Ausschnitt gezogen hatte.
    »Nichts!«, knurrte Mr. Pepusch und riss ihr das Tuch beinahe widerwillig aus den Händen. »Ich bin gefallen.«
    »Auf ein Messer gefallen?«, fragte Bess ungläubig. »Und gleich mehrfach?« Sie musste an den schwarz gekleideten Mann denken und an das längliche spitze Ding, das er von oben in seinen Spazierstock geschoben hatte. »Wer hat Euch das angetan? Und warum?«
    »Niemand! Ich sagte doch, ich bin gefallen.« Während er sprach, bildeten sich Blasen aus Blut vor seinem Mund.
    »Hölle und Wut!«, entfuhr es ihr. Das waren die Worte des einbeinigen Bettlers gewesen. Und nun erkannte Bess, dass sie keineswegs unsinnig gewesen waren, sondern einem Mann gegolten hatten: Hell and Fury!
    Mr. Pepusch starrte sie erschrocken an, schüttelte vehement den Kopf und schrie im selben Augenblick gepeinigt auf. Er drückte das Tuch auf die Wunde, und als der Schmerz nachgelassen hatte, wiederholte er seine Frage: »Wer, zum Teufel, seid Ihr?«
    »Elizabeth Lyon, Sir.« Da Mr. Pepusch sie verständnislos anstarrte, setzte sie hinzu: »Cannons House. Oder sollte ich sagen: Whitchurch?«
    Der Kapellmeister runzelte die Stirn und murmelte: »Lyon?« Schließlich weiteten sich seine Augen über dem blutbefleckten Tuch, und er fragte: »Die Frau des Küsters?«
    »Die Witwe des Küsters«, verbesserte Bess. »Und deshalb bin ich hier. Ich bin auf der Suche nach Albrecht Niemeyer. Wisst Ihr, wo ich ihn finde?«
    Mr. Pepusch lachte plötzlich, wobei ihm vor Schmerz die Tränen in die Augen schossen, und zischte: »Ihr kommt zu spät, Ma’am!«
    »Ist er bereits gegangen?«, fragte Bess und reichte Mr. Pepusch, der sich mühsam und unter Schmerzen aufrappelte, die Hand. »Wo finde ich ihn, Sir?«
    »Albrecht spielt schon lange nicht mehr in meiner Kapelle«, antwortete er und schlug ihre Hilfe aus. »Ich sagte doch, Ihr kommt zu spät. Ihr habt Euch einen schlechten Tag ausgewählt, Mrs. Lyon.« Das Tuch war inzwischen blutgetränkt, und Mr. Pepusch legte den Kopf in den Nacken, als hätte er nur ein leichtes Nasenbluten. »Was wollt Ihr überhaupt von ihm?«, knurrte er und fuhr sich mit dem Ärmel über das blutverschmierte Kinn.
    »Könnt Ihr Euch das nicht denken?« Da der Kapellmeister nicht antwortete, setzte sie hinzu: »Er hat meinen Mann auf dem Gewissen.«
    »Unsinn!«, rief Mr. Pepusch und stieg eine kurze Treppe zur Bühne hinauf. »Euer Mann hat sich umgebracht. Eine Kugel in den Kopf gejagt.«
    »So sagt man«, erwiderte sie und folgte ihm auf die Bühne, in deren Mitte ein riesiger Lorbeerstrauch von verschiedenen bemalten Stellwänden umgeben war. »Aber Ihr wisst es besser, Sir. Mein Mann wurde ermordet.«
    »Papperlapapp!«, rief Mr. Pepusch und hielt sich an einer Leinwand fest. Darauf war eine barbusige Frau zu sehen, die einen Jagdbogen in der Hand hielt. »Euer Mann hat sich selbst gerichtet.«
    »Gerichtet?« Bess starrte den Kapellmeister verwirrt an und fragte: »Mit Mr. Niemeyers Pistole?«
    »Und wenn schon! Es wurde doch alles gründlichst untersucht«, erwiderte Mr. Pepusch und deutete auf eine Tür am hinteren Ende der Bühne. »Geht nach Hause, Ma’am! Ihr habt offensichtlich keine Ahnung, worum es hier geht. Ihr begreift überhaupt nichts, und Ihr könnt mir glauben, das ist besser so!«
    »Was wollt Ihr damit sagen?«
    »Euer Mann hat bereits mit dem Leben bezahlt«, antwortete er und schritt schwankend über die Bühne. »Reicht Euch das nicht?«
    »Gerade deshalb muss ich mit Mr. Niemeyer sprechen.«
    »Ihr könnt ihm nicht mehr helfen, Ma’am«, sagte Mr. Pepusch, öffnete die Tür und stand am oberen Ende der Stiege, die zum hinteren Korridor führte. Er hielt sich mühsam am Geländer fest, und für einen kurzen Augenblick sah es so aus, als würde er kopfüber hinunterstürzen, doch dann fing er sich und wandte sich um. »Niemand kann das. Er hat sein Leben verwirkt. Er hätte in Frankreich bleiben sollen. Verdammter Dummkopf!«
    Bess verstand nicht, wovon der Mann sprach.

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