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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Erstaunlichste aber war, dass der Herzog von Chandos selbst Teil der literarischen Runde war und ungewohnt hemdsärmelig mit den Künstlern debattierte und dabei manche Flasche Wein mit ihnen leerte. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass Elizabeth den Raum nach dem Auftischen und Nachschenken sofort wieder verlassen musste und dass die Anwesenden in seltsames Schweigen verfielen, sobald sie mit den Speisen und Getränken den Raum betrat. Nicht einmal der aufdringliche Mr. Pope wagte, sie währenddessen zu begaffen und zu befingern, wie es sonst seine penetrante Art war. Nur an den Schweißperlen auf seiner Stirn war zu erkennen, dass er unter der Haut (und vermutlich in der Hose) glühte.
    Nach dem Ende des ungewöhnlich langen Treffens bot sich Mr. Niemeyer selbstlos an, Elizabeth zum Cottage des Küsters zu begleiten. Dieses Häuschen war zwar nur einen Steinwurf von Whitchurch entfernt, und der Weg vom Herrenhaus zur Kirche war, wie es sich für den herzoglichen Kirchweg ziemte, sehr breit und gut ausgebaut, doch weil dichter Nebel waberte und es zudem Neumond war, ließ der Musiker es sich nicht nehmen, die Dienstmagd sicher nach Hause zu bringen. Für alle Fälle, wie er augenzwinkernd meinte. Außerdem liege das Cottage ohnehin auf seinem Heimweg.
    Elizabeth schlug das Herz bis zum Hals, als sie weit nach Mitternacht neben Mr. Niemeyer den Park durchquerte und schließlich von ihm auf den Kirchhof von Whitchurch geführt wurde. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie es dazu gekommen war, aber Mr. Niemeyer hatte einige Anmerkungen gemacht, die darauf schließen ließen, dass er Elizabeth während der Proben auf der Empore gesehen hatte, und er fügte lachend hinzu, er würde Elizabeth sein Instrument gerne einmal aus der Nähe präsentieren. Zwar war sein Englisch mehr als dürftig, und oft vertauschte oder verdrehte er die Worte, aber weil er gleichzeitig seine Hand auf Elizabeths Hintern legte, war seine Bemerkung kaum misszuverstehen.
    Elizabeth konnte nicht anders. Sie warf sich ihm an den Hals, wurde von ihm gepackt und landete unversehens hinter einem großen Grabstein, wo der Musiker sie mit genau jener Leidenschaft und Ausdauer nahm, die Elizabeth sich in ihren Träumen ausgemalt und bei ihrem biederen Gatten bislang vermisst hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich wie eine erwachsene Frau. Auch wenn sie sich gleichzeitig wie eine alberne Göre vorkam, die einen Mann anhimmelte, nur weil er ein berühmter Musiker war.
    In den dreieinhalb Monaten ihrer unseligen Liaison nutzten Elizabeth und Albrecht jede sich bietende Gelegenheit und jeden nur erdenklichen Ort, um sich die Kleider vom Leibe zu reißen und mit Begierde und Wollust übereinander herzufallen. Dabei wechselten sie nur wenige Worte und ließen stattdessen ihre Finger und Lippen sprechen. Die Sprachlosigkeit rührte zum Teil daher, dass Albrecht nicht sicher Englisch sprach und oft Mühe hatte, Elizabeths ländlich gefärbten Middlesex-Akzent zu verstehen. Aber in der Liebe war Schweigen ohnehin Gold. Wenn Elizabeth etwas von Albrecht hören wollte, so reichte ihr sein betörendes Oboenspiel am Sonntag. Worte interessierten sie nicht, und womöglich geheuchelte Liebesschwüre hätten sie nur in Verlegenheit gebracht.
    In der Kirche von St. Lawrence Whitchurch gab es einen kleinen Abstellraum unterhalb der Wendeltreppe zur herzoglichen Empore, in dem der Vikar und auch Matthew einige belanglose Gerätschaften ablegten, die nicht in der Sakristei oder in der Krypta unter dem Chorraum aufbewahrt werden mussten. Dieser ebenso winzige wie verwinkelte Raum war nach oben hin durch die hölzernen Treppenstufen und Stützbalken und zum Kirchenschiff hin durch ein an Scharnieren befestigtes Brett begrenzt. Dieses Klappbrett, das auf der Langhaus-Seite mit einem biblischen Motiv bemalt war, war Teil einer Nische, in der sich der Taufstein befand. Die staubige und von Spinnweben überzogene Abstellkammer war der häufigste, weil günstigste Treffpunkt der beiden Liebenden, hier konnten sie nach den Proben der Kapelle unbeobachtet und ungestört zusammen sein und sich einander zügellos hingeben. Kein Mensch schöpfte Verdacht, wenn sie anschließend auf unterschiedlichen Wegen und zeitlich versetzt die Kirche verließen. Albrecht Niemeyer gehörte schließlich zu den Musikern in Whitchurch, und Elizabeth war die Küsterfrau. Auf ihre erhitzten Gesichter und die staubfleckigen Kleider achtete niemand. Und Matthew war

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