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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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gewöhnlich. Eine der unzähligen Schänken, die nach dem Brand von London aus Stein errichtet und in Erinnerung an die guten alten Zeiten im Erdgeschoss mit dunklem Fachwerk verkleidet worden waren. Auf dem Holzschild über dem Eingang war ein runder Hartkäse abgebildet, und gleich darüber war ein zweites Schild angebracht: Ein aufgeschlagenes Buch und ein Federkiel wiesen auf den Namen der Druckerei hin – »The Book and Quill«.
    Bess schaute sich ein letztes Mal prüfend um, betrat dann die Schänke und wartete, ob nach ihr jemand das Gasthaus betrat. Doch sie wartete vergebens, die Tür blieb geschlossen, und so wandte sie sich an den Wirt und fragte nach Mr. Wilkins, dem Drucker.
    »Eingang auf dem Hof«, knurrte der Mann und deutete mit dem Daumen aus dem Fenster. »Wine Court.«
    Bess dankte nickend, verließ die Schänke durch den Vordereingang – und stieß auf der Straße mit Henry Ingram zusammen, der gerade das Haus betreten wollte. Er hielt sie fest, als müsste sie sonst umfallen.
    »Ingram!«, entfuhr es ihr, und sie fasste sich an den Busen. »Hast du mich erschreckt! Was willst du denn hier?«
    »Ye Olde Cheshire Cheese!« Er lachte und rief: »Wenn ich das meiner Schwester erzähle, glaubt sie mir kein Wort.«
    »Deine Schwester? Wovon redest du überhaupt?« Sie sah ihn verständnislos an, und wieder einmal zweifelte sie an dem Verstand des komischen Kauzes. Dann jedoch stieß sie ihn von sich und fuhr ihn wütend an: »Seit wann folgst du mir? Und warum? Was, zum Teufel, willst du von mir?«
    Ingram hob entschuldigend die Hände und setzte zu einer Entgegnung an. Doch bevor er antworten konnte, wurde er durch einen Schrei aus dem Obergeschoss des Hauses unterbrochen. Das Jammern oder Schluchzen einer Frau schallte auf die Straße, gefolgt von einem schrillen Hilferuf. Die Passanten blieben stehen und schauten irritiert nach oben. Ein Erkerfenster unter dem Dach wurde in diesem Augenblick aufgerissen, und der Kopf einer Frau erschien am Fenster. »Hilfe!«, rief die Frau. »Zu Hilfe! Bringt einen Arzt! Schnell!«
    Bess reagierte als Erste. Sie ließ Ingram verdutzt stehen, rannte in den angrenzenden Wine Court, der ringsum von Häusern und Stallungen umstanden war, und betrat das Wirtshaus durch den Hintereingang. Eine schmale Stiege führte in die oberen Stockwerke, im zweiten Obergeschoss befand sich die Druckerei »The Book and Quill«, vor deren Tür ein junger Mann im fleckigen grauen Kittel stand und neugierig nach oben starrte. Bess rannte an ihm vorbei, nahm zwei Stufen auf einmal und stand im nächsten Moment vor dem niedrigen Eingang zur Dachstube. Die Tür war sperrangelweit geöffnet, und Bess betrat die Wohnung, die aus zwei Kammern zu bestehen schien. Linker Hand erkannte Bess das Erkerzimmer, dessen bleiverglaste Fenster zur Fleet Street gingen und in dem die Dienstmagd immer noch wie von Sinnen nach Hilfe schrie. Geradeaus befand sich eine zweite Kammer, die durch eine Luke in der Dachschräge erhellt wurde. Ein Schatten bewegte sich über die Wand, hin und her, aber diese Bewegung hatte etwas Unnatürliches, fast geisterhaft Schwebendes.
    Langsam näherte sich Bess der hinteren Kammer, und als sie den Raum betrat, bot sich ihr ein Bild, das sich ihr wie ein Feuerzeichen einbrannte. Selbst als sie entsetzt die Augen schloss, konnte sie das Bild noch vor sich sehen. In der Mitte des Raumes, direkt unter der Dachluke, stand ein Tisch, und auf diesem Tisch wiederum stand ein Mann im grauen Kittel, der einen zweiten Mann wie einen Mehlsack über der Schulter trug. In der Hand hielt der Graukittel ein langes Messer. Über seinem Kopf, unterhalb der Luke, war an einem waagerechten Kehlbalken ein Seil befestigt, dessen unteres Ende durchtrennt war und hin und her baumelte. Was Bess vor sich sah, wirkte zunächst widersinnig und grotesk, doch dann begriff sie, und auch sie schrie laut auf.
    »Hört mit dem Gekreische auf, Ma’am, und helft mir lieber!«, rief der Mann im Kittel, der sichtlich unter seiner Last schwankte. »Vielleicht ist er noch zu retten.«
    Doch Bess rührte sich nicht vom Fleck und starrte wie gebannt auf den Mann, den der Graukittel vom Strick geschnitten hatte. Die Schlinge hing noch um seinen Hals, die Augen traten ihm aus den Höhlen, und das Gesicht wirkte verquollen und wie aufgeblasen. Nichts erinnerte in diesem Augenblick an das hübsche Antlitz des Oboisten, das Bess vor Jahren so in den Bann gezogen hatte. Albrecht Niemeyers Gesicht war zu einer

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