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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Geoff grinsend und deutete nach Osten. »Sie ist da lang, Captain.«
    Henry wunderte sich nicht, dass Geoff wusste, wem er folgte, und lief in die gewiesene Richtung. Als er die Chancery Lane erreichte, sah er Bess nur wenige Schritte entfernt in die Fleet Street einbiegen.
    Während er ihr vorsichtig und in gebührendem Abstand in Richtung Stadtmauer folgte, versuchte Henry, sich einen Reim auf das zu machen, was er gerade gesehen hatte. Hatte Bess dem Mann auf der Treppe das Gesicht blutig geschlagen? Und wieso war sie überhaupt im Theater gewesen? Oder besser: Was hatte sie mit Johann Christoph Pepusch zu schaffen? Denn inzwischen war sich Henry sicher, dass es sich bei dem verletzten Mann um den Kapellmeister gehandelt hatte. Und etwas anderes ging ihm durch den Sinn: Das Theater, das er gerade verlassen hatte, war das New Theatre. Jener Ort, an dem im Jahre 1728 die Uraufführung der Bettleroper stattfinden würde. Oder stattgefunden hatte.
    In konfuse Gedanken versunken, folgte er Bess bis zum Ye Olde Cheshire Cheese, in dem sie eilig verschwand. Ausgerechnet das Cheshire Cheese! Henry hätte fast laut gelacht, und vielleicht tat er es sogar. Doch im nächsten Moment kam Bess wieder heraus und sprang ihm beinahe in die Arme. Er hielt sie ohne Grund umklammert. Sie beschimpfte ihn und fluchte. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
    Eine Frau schrie. Ein Fenster wurde aufgerissen. Weitere Hilferufe schallten auf die Straße. Bess riss sich los und rannte in den Hof. Menschen kamen zusammen, drängten sich vor dem Haus und gingen im Pulk zum Hof. Henry mittendrin. Dann durch den Seiteneingang und die enge Treppe hinauf bis in den zweiten Stock. »The Book and Quill« las Henry auf einem Holzschild an der Tür. Ein junger Mann im Graukittel stand auf dem Absatz und wurde von der Menge mitgerissen. Bis unters Dach. Dort bildete sich eine Traube vor der Dachkammer. Henry schaute hinein und sah Bess in einem hinteren Zimmer auf einem Schemel sitzen, in der Hand hielt sie eine zerbrochene Oboe oder Klarinette. Dann schaute sie zur Tür, sprang auf und rief: »Hell and Fury!«
    Was danach geschah und in welcher Reihenfolge, das war Henry auch anschließend nicht wirklich klar und verständlich. Er wurde von einem Schwarzgekleideten mit Schlapphut zur Seite gestoßen. Ein kleiner Mann mit Narbengesicht zückte ein Schwert. Ein riesiger Kerl folgte ihm, versperrte die Tür und schnappte sich Bess, die hinausrennen wollte.
    »Au!«, schrie Bess. »Du tust mir weh, Mistkerl!«
    Henry wollte dazwischengehen, doch Bess schaute ihn erschrocken an und schüttelte heftig den Kopf. Er verstand nicht, duckte sich aber instinktiv und verschwand nach unten.
    »Schaff sie weg!«, hörte er den kleinen Mann mit schriller Fistelstimme sagen.
    »Chick Lane?«, antwortete der Riese.
    »Was sonst?«, sagte der Schwertträger.
    Henry rannte hinaus auf die Straße und hinüber zur Kirche von St. Bride. Der Turm wie eine in die Länge gezogene Hochzeitstorte. Bess in den Händen des Riesen, den einen Arm auf dem Rücken verdreht, den Hals im Würgegriff, die Füße über den Boden schleifend. Dann in einen bereitstehenden Einspänner. Ein letzter Blick aus dem Kutschenfenster, verängstigt und um Hilfe flehend. Henry nickte, obwohl er nichts begriff. Und weg war sie.
    Henry brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Dann näherte er sich langsam wieder dem Hof. »Wine Court« stand auf einem verwitterten Holzschild. Immer noch standen die Menschen in Trauben beisammen, tuschelten mit wichtigtuerischen Mienen und tauschten Wissen oder Gerüchte aus. Dem Gerede entnahm er, dass sich in der Dachkammer ein Musiker das Leben genommen hatte. Ein Deutscher, wie es hieß. Ein hübscher Bursche, wie die Frauen fanden. Immer etwas hochnäsig, meinten die Männer. Und überhaupt, diese Deutschen! Aber sonst wusste niemand etwas über ihn zu sagen. Ein stiller und verschlossener Geselle. Nur die Musik habe man von ihm gehört. Die sei allerdings sehr schön gewesen. Das fanden sogar die Männer.
    Als die mit einem Leinentuch bedeckte Leiche des Mannes in den Hof hinuntergebracht und auf einen Pferdekarren gelegt wurde, betrachtete Henry nicht den Toten, sondern den kleinen Mann mit dem Schwert, der die Prozedur überwachte. Er gab einem Konstabler knappe Anweisungen, denen dieser eifrig und mit unterwürfiger Miene nachkam. Das Gesicht des Mannes war von Narben übersät, allerdings stammten diese nicht von Pocken oder Akne, sondern waren

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