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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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so, dann hätte Henry in diesem Moment gar nicht an diesem Ort und in dieser Zeit sein dürfen! Er hatte bereits durch seine Zeitreise in die Abfolge der Geschehnisse eingegriffen! Und wenn Geschichte tatsächlich veränderbar war, dann konnte er sich auf das, was in der Zukunft sein würde, nicht verlassen. Es war durchaus denkbar, dass ein Komponist ermordet wurde, bevor er sein berühmtestes Werk geschaffen hatte. Und um das Werk wäre es damit geschehen! Mit Mr. Pepusch würde auch die Bettleroper sterben. Und Henry hätte niemals als Captain Macheath auf der Bühne des Rosemary Lane gestanden. Und wäre vermutlich nicht durch die Zeit gereist. Denn er hätte niemanden umgebracht. Und würde sich jetzt nicht erfolglos das Hirn zermartern.
    Wieder verwirrten sich seine Gedanken und drehten sich im Kreis. Wie stets, wenn Henry versuchte, das Problem vernünftig oder logisch zu ergründen, stieß er an seine Grenzen. Denn mit Vernunft und Logik war das Rätsel nicht zu lösen. Das Ganze ergab keinen Sinn. Also war es müßig, nach einem Prinzip oder einem Muster zu suchen. Es war zum Haareraufen. Verrückt!
    Während er durch schmale und verwinkelte Gassen mit sonderlichen Namen wie Rotten Row oder Hockley-in-the-Hole schlenderte, achtete Henry möglichst darauf, die Sonne in seinem Rücken oder auf seiner linken Seite zu haben, um nach Westen, in Richtung Holborn, zu gelangen. Doch erst als er nach geraumer Zeit und mit vernehmlich knurrendem Magen an den Feldern von Gray’s Inn ankam und die nördlichste der vier alten Anwaltskammern vor sich sah, hatte er die Orientierung wiedergefunden. Von hier aus war es nicht weit nach High Holborn, und so überquerte er die lärmende Hauptstraße, klaute im Vorbeigehen einen Apfel bei einem Händler in der Chancery Lane und lenkte seine Schritte nach Lincoln’s Inn Fields. Wenn er Maestro Pepusch finden wollte, musste seine Suche beim dortigen Theater beginnen.
    Wie am vorherigen Tag war die große Eisenpforte des Theaters verschlossen, doch diesmal saß ein alter Pförtner in dem winzigen Häuschen nebenan und wandte sich mit mürrischer Miene an den Ankömmling.
    »Das Theater ist geschlossen, junger Mann!«
    »Ich will zur Probe«, sagte Henry und biss in seinen Apfel.
    »Fällt aus.« Der Pförtner musterte ihn skeptisch und rümpfte die vom Alkohol gerötete und runzlige Nase. »Ihr seht mir nicht aus wie ein Musiker. Ihr habt kein Instrument.«
    »Dafür habe ich eine Nachricht für Maestro Pepusch«, antwortete Henry kauend.
    »Ist nicht da.«
    »Eine Nachricht von Mr. Jonathan Wild.« Er spuckte einen Kern auf den Boden und setzte beiläufig hinzu: »Oder soll ich Mr. Wild sagen, der Pförtner des New Theatre hätte mich abgewiesen?«
    Es war schon erstaunlich, welche Wirkung man mit der Nennung dieses Namens erzielen konnte. Der Pförtner schluckte, nickte erst, schüttelte dann vehement den Kopf und sagte in ungleich freundlicherem Ton: »Maestro Pepusch ist leider krank, daher muss die heutige Probe ausfallen. Nur deshalb sitze ich an diesem Morgen hier. Um den Musikern Bescheid zu geben. Weil der Maestro … unpässlich ist.«
    »Mr. Wild weiß, dass Mr. Pepusch krank ist. Deshalb schickt er mich ja.«
    Das ergab zwar eigentlich keinen Sinn, aber der Pförtner schien den Widerspruch nicht zu bemerken, er nickte eifrig und sagte: »Sicher, ich verstehe.«
    »Also?«, fragte Henry.
    »Also was?«
    »Wo finde ich den Maestro?«
    »Ach so«, räusperte sich der alte Mann und gab bereitwillig Auskunft. »Covent Garden. Bedford Court. Gleich gegenüber dem Friedhof von St. Paul. Fragt im Three Kings nach Mr. Pepusch. Aber er ist …«
    »Unpässlich. Ich weiß, danke!« Henry tippte sich an die Stirn, warf den Rest des Apfels weg und eilte davon. Dass es so einfach sein würde, Pepuschs Adresse ausfindig zu machen, hätte er nicht gedacht. Und er war froh, dass nicht wieder der irre Geoff auftauchte, um mit seinen seltsamen Orakelsprüchen Eindruck zu schinden oder Verwirrung zu stiften.
    Es war nur ein kurzer Fußweg bis zum Covent Garden. Henry überquerte die Drury Lane, folgte dem Long Acre, ließ die Dirty Lane samt Hopes Hexenhaus rechts liegen und stand nur wenige Minuten später vor der Kirche von St. Paul. Die war zwar dem gleichen Heiligen geweiht wie die Kathedrale in der City, hatte sonst aber wenig mit ihr gemein. Eher erinnerte die Kirche an einen antiken Tempel als an ein christliches Gotteshaus. Henry glaubte zu wissen, dass man die Kirche

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