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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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blödelt der da hin?
    FISCHER    Wo hat es angefangen?
    STERN    Es fing an in Berkeley, aber mir war klar, dass das weitergeht. Ein Jahr später hat mich die Rockefeller Foundation wieder angerufen und gesagt: Hören Sie, wir müssen unbedingt eine Konferenz über die internationalen Studentenproteste machen, und Sie sollen sie leiten. Das war an und für sich eine tolle Sache, und ich fing auch gleich mit den Vorbereitungen an. Also, ich habe sehr früh gespürt, dass die Studentenbewegung wichtig war, und ich hatte auch viel Verständnis für das, was die Studenten forderten. Für mich war es in erster Linie eine Bewegung gegen die Bourgeoisie, und das war mir sympathisch. Als dann die Gewalt angewandt wurde, habe ich mich dagegen gewehrt.
    FISCHER    Gewaltanwendung auch in Amerika? In welcher Form?
    STERN    Die Besetzung von Gebäuden der Universität – eine Universität nach der andern, ein Gebäude nach dem anderen – erfolgte natürlich mit Gewalt, Gewalt auch in dem Sinne, dass andere ausgesperrt wurden, Boykott der Vorlesungen und dergleichen.
    FISCHER    Später dann die Weathermen. – Sie sagen, dass Sie Verständnis für die Forderungen der Studenten hatten. War denn das Verhältnis zwischen Professoren und Studenten ähnlich autoritär wie hier in Deutschland?
    STERN    Nein, überhaupt nicht. Jedenfalls habe ich es so nicht erlebt, weder als Student noch als Lehrer. Da möchte ich Ihnen schnell eine kleine Anekdote erzählen. Anfang der neunziger Jahre, bei einem Empfang an der Universität, kam ich furchtbar spät rein; es war ein kleiner Kreis um den neuen Rektor oder Vizerektor, und in dem kleinen Kreis stand ein sehr groß gewachsener Mann. Wir haben uns die Hand gegeben, uns vorgestellt – und da war es einer der Wortführer von damals, einer von denen, die 1968 auf die Barrikaden gegangen waren. Wir wussten beide sofort, wo der andere hingehörte, und da sagte ich zu ihm: «Und was machen Sie jetzt?» – «Ja, ich bin jetzt Lehrer an der Filmschule der Universität.» Da rutschte es mir raus: «Dann hat sich die Rettung der Universität doch gelohnt.» Und dann haben wir uns umarmt. Das wäre in Europa wahrscheinlich nicht möglich, eine solche ehrliche Versöhnung. Also, die Beziehungen zu meinen Studenten waren immer gut, sogar sehr gut, auch wenn es sich um Rebellen handelte. Ärger hatte ich nur mit den Leuten von der Fakultät, die plötzlich ihre Jugend neu entdeckten und meinten, die Gewalt hinnehmen zu müssen.
    FISCHER    Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie haben früh gespürt, dass da was ist mit der Studentenbewegung? Woran würden Sie das Antibürgerliche inhaltlich festmachen?
    STERN    Ich spürte bei den Studenten eine tiefe Unzufriedenheit mit der bürgerlichen, materialistischen Welt. Da habe ich manches wiedererkannt von früheren Bewegungen, mit denen ich mich als Historiker beschäftigt hatte, da war mir vieles vertraut. Aber entscheidend war der Vietnamkrieg: Ich war früh ein engagierter öffentlicher Gegner dieses Krieges.
    FISCHER    Ich sagte ja bereits, dass für mich das Jahr 1968 einen Zeitenbruch darstellt, eine Wende, wo sich die Alltagskultur zu verändern begann, wo man Autorität in Frage gestellt hat. Hinzu kamen in jedem Land unterschiedliche nationale Ursachen und Ausdrucksformen. Die Zustände an den amerikanischen Universitäten kann ich nicht beurteilen. Aber Sie sagen ja selbst, dass es da bei weitem nicht so schlimm war wie an der deutschen Ordinarienuniversität.
    STERN    Bei weitem nicht.
    FISCHER    Hinzu kam hierzulande die historische Aufladung durch das feine Schweigen über die eigene Vergangenheit. Ich erinnere mich an Lehrer, bei denen man nur das entsprechende Stichwort aufzurufen brauchte, um sie zum Ausflippen zu bringen. Was lag näher, als anzunehmen, dass es an der Universität und mit den Staatsautoritäten ähnlich war? Die Konfrontation in diesem Zeitenbruch entschied sich an der Kulturfrage, wie lang dürfen die Haare sein? Das ist heute kein Thema mehr, aber damals schlug dir Hass entgegen, wenn die Haare einen halben Zentimeter zu lang waren. Für das Mehrheitsdenken in Deutschland war eben die Kommiss-Frisur das Maß aller Dinge. Wenn die ältere Generation in Deutschland reagierte, dann reagierte sie in der ihr vertrauten Art und Weise, und die war durch die deutsche Geschichte nun einmal klar definiert.
    STERN    Von heute aus könnte man fast sagen, die Elterngeneration konnte einem leid

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