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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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drinstecken. Aber ich habe mich ja nicht entschuldigt, weil ich dazu gezwungen wurde, sondern lange vorher. Weil da etwas in mir arbeitete, nämlich diesen wirklich großen Fehler gemacht zu haben, die Bedeutung des Rechts zu unterschätzen. Heute kann ich im Grunde ohne jede Bitterkeit sagen, Ihre Generation, Fritz, hatte einfach Recht, wenn sie gesagt hat: So geht es nicht, die Anwendung von der Gewalt ist ein großer Fehler. Ich bin der Meinung, dass soziale Bewegungen Ausdruck einer sich entwickelnden Demokratie sind, und ich traue ihnen auch ein großes Innovationspotential zu, aber in der Gewaltfrage bin ich später nie mehr opportunistisch gewesen. Das hat mir manchmal sehr viel Ärger eingebracht, aber ich war auf Grund meiner eigenen Erfahrungen der festen Überzeugung, da gibt es eine Grenze, die darf man nicht überschreiten, sonst macht man sich schuldig. Politisch führt Gewalt meistens zum Desaster für eine soziale Bewegung, das kommt hinzu; an der Gewaltfrage sind viele soziale Bewegungen, die für hervorragende Ziele gekämpft haben, gescheitert. Hier geht es nicht um die Frage, ob einer sich entschuldigt oder nicht, sondern hier muss ich zu einem schweren Fehler stehen – und das tue ich. Aber dazu bedurfte es nicht dieser Debatte. Ich kann Ihnen die Artikel zeigen, die ich schon Ende der siebziger Jahre, in der Phase der großen Ernüchterung im Frankfurter «Pflasterstrand» veröffentlicht habe, später bei «rororo aktuell». Da hatte ich auch schon den so genannten Antizionismus im Visier, der sich bei der radikalen deutschen Linken später als Antisemitismus entpuppt hat. Nein, dazu bedurfte es dieser Debatte nicht. Und doch war diese Debatte mehr als legitim. Was glauben Sie, was ich als Oppositionsabgeordneter gemacht hätte, wenn ich einen Außenminister mit einem solchen Bildmaterial gefunden hätte? Also insofern kein Vorwurf an die Opposition und die Medien.
    STERN    Nur eine Fußnote. Meine große Begeisterung für Solidarność, für die polnischen Dissidenten, für die russischen Dissidenten, für die tschechischen Dissidenten hängt zusammen mit dem Gewaltverzicht. Ihnen allen war bewusst, es muss ohne Gewalt gehen. Das galt übrigens auch in der DDR, die Leipziger Demonstrationen standen unter der Prämisse, keine Gewalt anzuwenden. Am überzeugendsten hat es Havel formuliert in seinem herrlichen Buch «Die Macht der Ohnmächtigen». Aber auch als ich 1979 das erste Mal in Polen war und Michnik und Geremek kennen lernte, war es die Betonung des gewaltlosen Widerstands, die mich sofort für sie einnahm. Diese Dissidenten sind für mich noch immer beispielhaft, und es ist fantastisch, wie sie an ihren Prinzipien festgehalten haben, theoretisch und in der Praxis.
    FISCHER    Und doch gibt es Grenzen. In einer Diktatur kann es zu Situationen kommen, in denen Gewalt auch legitim sein kann.
    STERN    Wo verläuft für Sie die Grenze?
    FISCHER    Das kann ich Ihnen sagen. Die Grenze verläuft für mich da, wo es um die Verteidigung der eigenen Freiheit und des Lebens geht. Wenn Sie diese Linie beachten, dann halten Sie eine Nulllinie. Eine bessere Realität werden Sie mit Gewalt aber nicht erreichen, das sehe ich nicht. Das heißt: Widerstand überall dort, wo es um diese Grundtatsache geht und Freiheit und Leben bedroht sind. Da halte ich Gewalt, wenn es anders nicht mehr geht, für das letzte Mittel. Alles andere muss im Rahmen rechtlicher Verhältnisse geregelt werden.
    STERN    Man soll das Individuelle nicht zu sehr unterstreichen. Widerstand ist nicht nur dann geboten, wenn meine persönliche Freiheit bedroht ist. Im Widerstand gegen Hitler ging es um das Unrechtsregime schlechthin. Man erinnere sich, welche Überwindung es Menschen wie Bonhoeffer und Dohnanyi gekostet haben muss, den Tyrannenmord zu rechtfertigen. Man muss lange mit sich selber gekämpft haben, bis man zu einem solchen Entschluss gelangt. Davor habe ich ungeheuren Respekt. Er habe den Tod Hitlers gebilligt, sagte Hans Bernd von Haeften, einer der Angeklagten des 20. Juli, vor dem Volksgerichtshof, weil er in Hitler den «großen Vollstrecker des Bösen in der Weltgeschichte» erkannt habe.
    FISCHER    Ich stimme Ihnen voll zu, es geht mir nicht nur um das individuelle Schicksal. Kann man die syrische Opposition dafür kritisieren, dass sie Gewalt anwendet, angesichts dessen, was vielen Syrern täglich vom Regime widerfährt – natürlich nicht.
    STERN    Eben.
    FISCHER    Natürlich

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