Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
nicht. Wenn die Alternative heißt, sich auf Gnade und Ungnade einem Gewaltherrscher auszuliefern oder aber gewaltsam Widerstand zu leisten und auf den Umsturz der Verhältnisse zu dringen, unter solchen Bedingungen, glaube ich, wird jeder Verständnis dafür haben, dass Gewalt angewendet werden muss. Aber in einer Demokratie, in einem Rechtstaat mit verbrieften Grundrechten – nein.
STERN Strukturelle Gewalt, wie das 1968 genannt wurde, wäre also kein ausreichender Legitimationsgrund für Gewaltanwendung?
FISCHER Ich weiß, dass viele es so empfunden haben damals, dass sie sich tatsächlich durch diesen Staat in ihrer Freiheit und auch in ihrem Leben bedroht fühlten. Aber das war Unsinn, sie waren nicht bedroht, ich hab’s ja alles erlebt. Natürlich gab es emotionale Situationen, wo du dachtest, jetzt ist es so weit, jetzt klopft der Faschismus an die Tür. Aber ein Stück weit war ja die Strategie der RAF auch darauf angelegt, dem westdeutschen Faschismus sozusagen die Charaktermaske der Demokratie abzureißen. Also teilweise gewollte Provokation: den Faschismus herbeiführen, um ihn dann besiegen zu können. Das war alles furchtbar, und im Kern war es nicht einmal politisch.
STERN War unpolitisch? Das erinnert mich an Habermas’ Bemerkung vom linken Faschismus und Dahrendorfs herrliche Antwort auf den Vorwurf Rudi Dutschkes gegen die «Fachidioten der Politik» beim Parteitag der FDP im Januar 1968 in Freiburg, es gebe auch «Fachidioten des Protestes».
FISCHER Nicht unpolitisch, aber im Kern steckte viel existenzielle Gewaltverherrlichung. Dieses ganze Macho-Gehabe – Kriegserklärung mit Daumenabdruck und so, mit 160 km durch Berlin brettern und dann auch noch betrunken sein, sich rausschießen lassen, wo man demnächst ohnehin freigekommen wäre und obendrein Freigang hatte. Faschismus zeichnete sich nicht durch Freigang in Bibliotheken aus.
STERN Das, was damals Faschismuskritik hieß, war keine notwendige Voraussetzung für die politische Mobilisierung, in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Aber in linken und linksliberalen Kreisen herrschte doch das weit verbreitete Gefühl vor, dass in der Gesellschaft etwas nicht stimmt, dass es liberaler werden muss, freier, dass es in diesem Land zu autoritär, zu eng, zu repressiv ist.
FISCHER Ja, aber dann hätten wir ja alle die sozialliberale Regierung unterstützen müssen. Das haben wir nicht getan.
STERN Im Rückblick schade, dass Sie es nicht getan haben. Aber vielleicht war die SPD zu moderat für Euch. Es gab schon viel Ressentiment bei den Radikalen von 68: eine nicht gerade glückliche Mischung von Überheblichkeit und Minderwertigkeitsgefühlen.
FISCHER Jede soziale Veränderung hat auch ihre negativen Seiten. Dazu gehört der Überschuss, dazu gehört der Irrtum, dazu gehören auch schlimme Auswüchse, ja Verbrechen. Ich möchte diese negativen Folgen nicht rechtfertigen, ich sage nur, man muss damit rechnen. Packen wir es mal von der anderen Seite an. Warum tun sich Revolutionäre so schwer, von der Macht abzutreten, nachdem sie sie erobert haben? Weil sie letztendlich an die persönliche Macht glauben. Nur eine Revolution, die die Kraft hat, neues Recht zu schaffen, ist eine wirkliche Revolution. Wer nur eine neue persönliche Herrschaft errichtet, ist kein Revolutionär. Vergleichen Sie die historische Größe von Nelson Mandela mit Fidel Castro, der ja immer noch an der Macht festhält. Man weiß nicht, ob das Südafrika Mandelas am Ende Erfolg haben wird, aber es war ein Versuch, durch eine Revolution, die in der Schlussphase sogar auf dem Verhandlungswege stattgefunden hat, eine neue Form von Demokratie einzuführen. Dabei hatte der ANC terroristische Mittel alles andere als abgelehnt. Aber Mandela hat sich immer als Protektor der institutionellen Veränderung verstanden und nicht seine Person in den Vordergrund gestellt. Oder schauen Sie sich in den Ländern um, in denen der Kampf gegen die Korruption das politische Hauptthema ist. Korruption ist etwas ganz Schlimmes, also versprechen alle, ich kämpfe gegen die Korruption; in Wirklichkeit versuchen sie nur, ihre Macht zu erhalten. Das können Sie jetzt wieder bei Bossi und seiner Lega Nord sehen. Jahrelang hat er gegen die Korruption gewettert, und jetzt stellt sich heraus, dass er seine halbe Familie versorgt hat. Das ist für mich ein generelles Prinzip auf Grund meiner Lebenserfahrung: Am Ende geht es um mehr Freiheit durch
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