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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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Schlagwörtern, die häufig missbraucht werden, um Politik in extremis zu beschreiben. Es ging damals direkt gegen den Springer-Konzern, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und ich frage mich – oder besser, ich frage Sie –, ob man wirklich sagen kann, dass die Springer-Presse für die Eskalation mitverantwortlich war. Würden Sie das heute noch so sehen?
    FISCHER    Tja, ich möchte da jetzt keinen neuen Streit beginnen, aber ich habe meine Position kaum zu ändern in diesem Punkt. Wer die damalige Kampfpublizistik vor allen Dingen in «Bild» und «BZ» in Erinnerung hat, der weiß, warum das Ziel Springer war.
    STERN    Eine vergleichbare Presse gab es in den USA in dieser Zeit nicht, jedenfalls nicht in dem Maße. Aber die grundsätzlich antiautoritäre Einstellung, von der Sie sprachen, war natürlich auch da, und die führte, sobald sie auf etwas Widerstand stieß, schnell zur Eskalation.
    FISCHER    Aber wenn Sie sagen, die Universitäten waren viel weniger autoritär als in Deutschland, an welchen Autoritäten hat sich die Studentenbewegung dann abgearbeitet?
    STERN    An der Universität selber, das war ja genau das, was mich so empörte und was mich dann auf die Gegenseite gebracht hat. Die Universität war immerhin eine liberale Bastion in einem konservativen, nach rechts tendierenden und durch den Vietnamkrieg geprägten Milieu. Dass man ausgerechnet die Universität zu zerstören versuchte, wollte mir nicht in den Kopf, aber das war im Grunde das Ziel der Radikalen. Ende April 1968 kam es in Columbia zu einem großen Streik, dem sich meine Fakultät zum Teil anschloss. Bei einer Diskussion bin ich spontan aufgestanden und habe gesagt: Es geht nicht, dass die Fakultät in einen Streik gegen die eigene Universität eintritt, das geht mir zu weit. Und die Gewalt gefällt mir auch nicht, sagte ich. Ich hätte in meinem Leben schon einmal junge Idealisten gesehen, die Gewalt angewandt haben, aber es hat mir damals nicht gefallen, und es gefällt mir heute auch nicht, und ich würde auch nicht die Entschuldigung gelten lassen, das seien doch Idealisten. Es war wirklich ein großer Aufruhr innerhalb der Universität, die Polizei schritt ein, und mehrere hundert Personen wurden festgenommen. Am 2. Mai erschien mein Freund Allen Ginsberg, der viele Jahre nicht an der Universität gewesen war – er hatte gar nichts mehr mit der Universität zu tun –, aber jetzt war er da, und er hielt eine Rede. Am Schluss ging es um den Präsidenten der Universität, Grayson Kirk, und Ginsberg sagte: «I think Kirk should probably go.» – Kirk muss wahrscheinlich gehen. Das Wort «probably» war den Revolutionären völlig unbekannt, viele murrten, dass Ginsberg sich so human ausgedrückt hatte, statt zu sagen: Er muss gehen, er muss heute noch gehen, wir müssen ihn bestrafen.
    FISCHER    Weg mit dem Kerl!
    STERN    Weg mit dem Kerl, ja. Hinterher bin ich mit Ginsberg in mein Büro, und da haben wir uns lang unterhalten – Mai 1968.
    FISCHER    Woher kannten Sie ihn?
    STERN    Wir haben uns im Sommer 1943 kennengelernt, als wir uns an der Universität einschreiben mussten. Es war eine lange Reihe von Leuten, und er stand vor mir. Unter dem Arm hielt er eine linke Zeitung, die es nicht lang gegeben hat, die hieß «P. M.», also eine Zeitung für nachmittags. Ich fand sie etwas teuer, 15 Cent statt 10 Cent, wie die meisten Zeitungen, und da sagte ich zu Ginsberg: «Hör mal, wenn du fertig bist mit der Zeitung, dann gib sie mir doch». Dann haben wir uns sehr schnell befreundet, und ich habe viel von ihm gelernt. Er war sehr interessiert an meiner Herkunft und an unserem Familienleben und hat dann auch meine Eltern kennengelernt. Ich weiß noch, dass ich ganz verblüfft war, als er hinterher in großer Offenheit sagte: «Eigentlich ist Deine Mutter eindrucksvoller als Dein Vater». Wir saßen zusammen im Debattierclub unseres Colleges, und eines Tages mussten wir gegen die Militärakademie in West Point antreten: Columbia gegen West Point, und die beiden Vertreter von Columbia hießen Ginsberg und Stern. Wir hatten viel Spaß.
    FISCHER    Und wer waren die beiden von West Point?
    STERN    Das weiß ich leider nicht mehr. Es waren jedenfalls gute Kadetten, und in der Debatte ging es um die Frage, ob Armeen abgeschafft werden sollen und stattdessen eine internationale Schutztruppe aufgebaut werden soll. Ginsberg und ich waren für eine internationale Schutztruppe. Ob wir den Wettstreit

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