Gegen jede Regel
Deutschen Meisterschaft«, sagte Grams
gedehnt.
»Oh«, sagte Kleemann erstaunt. »Das ist ja eindrucksvoll.
Nicht irgendeine Partie.«
»Nein, nicht irgendeine.«
»Und wie kommen Sie voran?«, fragte Kleemann, als wüsste
er es nicht.
»Nicht gut«, sagte der Malermeister matt.
»Wieso das?«, fragte Kleemann. Sein Erstaunen klang so aufrichtig,
dass sogar ich es ihm abnahm. Zumindest beinahe.
»Ich habe keinen guten Start erwischt.«
»Was heiÃt das?«, fragte Kleemann.
Grams schaute vom Kollegen Kleemann zum Kollegen Seybold,
dann zu mir und wieder zu Kleemann. Seine Augen wurden wässrig. Mit zittriger
Stimme sagte er: »Das wissen Sie doch. Warum fragen Sie mich das?« Er war ein
geschlagener Mann.
Das war ganz sicher das Gegenteil der Reaktion, auf die sie
gehofft und die sie erwartet hatten. Kleemann und Seybold tauschten einen
flüchtigen Blick voller Unsicherheit. Dies war nicht das Zimmer von Dr. Klein
oder dem Sozialpädagogen Werle und es standen keine Taschentücher bereit.
Seybold sagte: »Wir wissen, dass es in Ihrer Partie nicht
gut für Sie steht. Erzählen Sie uns doch einmal vom Beginn der Partie und von
Tobias Maier.«
Der Spieler unterdrückte ein Schluchzen. »Es sah alles
ganz gut aus, aber Tobias hat mich dann mit einem uralten Trick hereingelegt.«
»Hat Sie das nicht geärgert?«
»Ja. Fragen Sie Herrn Wegener.«
Die Kollegen Seybold und Kleemann drehten sich tatsächlich
zu mir um. Ich nickte, weil ich nicht wusste, was von mir erwartet wurde, dann
ging die Befragung weiter.
»Also mich hätte das auch geärgert. Hatten Sie sich nicht
auch schon in früheren Partien über Tobias Maier geärgert?«
Grams senkte den Kopf.
»Er war Ihnen zu sprunghaft, zu wenig verlässlich, zu wenig
bei der Sache. Und er hat Sie gedemütigt.«
Herr Grams lieà die Worte über sich ergehen wie ein Hase
einen Platzregen.
»Wissen Sie, was ich bemerkenswert finde? Ich sage es Ihnen.
Tobias Maier legt Sie bei diesem Spiel herein. Und ein paar Tage später ist er
tot. Seltsam, nicht wahr?«
Elias Grams reagierte nicht. Er stimmte nicht zu, er verneinte
nicht, er leistete keinen Widerstand. Auch der Gedanke, dass ein Anwalt für ihn
vielleicht doch ganz nützlich sein könnte, kam ihm offenbar nicht.
»Und die Partie ging danach weiter. Sie schöpften wieder
Hoffnung, trafen neue Absprachen, nicht wahr?«
Immer noch kein Wort, keine Bewegung.
»Und jetzt wird es erst richtig spannend«, sagte Seybold,
doch Grams teilte sein Interesse nicht. »Jetzt legt Ihr alter Freund Martin
Pracht Sie rein. Und ein paar Tage später ist auch er tot. Auf dieselbe Weise
ermordet wie Tobias Maier, mit derselben Waffe, zur gleichen Uhrzeit, sogar im gleichen
Raum seines Hauses.« Kollege Seybold lehnte sich zurück. »Finden Sie das nicht
auch bemerkenswert?«
Der Malermeister war als Gesprächspartner ungefähr so reaktionsfreudig
wie ein Sack Kartoffeln.
»Und deshalb glaube ich auch nicht, dass Sie gestern am
Computer waren und danach ferngesehen haben«, sagte Seybold. »Ich will Ihnen
sagen, wie es war. Sie saÃen am Computer. Obwohl Sie alles versucht haben,
haben Sie erkannt, dass Ihre Lage aussichtslos ist. Sie tranken Bier. Vielleicht
eine Flasche, vielleicht auch ein paar Flaschen mehr. Sie ärgerten sich. Sie
waren wirklich wütend. Und dann sind Sie losgegangen, um Martin Pracht umzubringen.
Damit ein neuer Ãsterreich-Spieler in die Partie kommt.«
Grams richtete langsam seinen Blick auf Seybold. Seine
Augen waren blutunterlaufen und zeigten nur Leere. »Glauben Sie das wirklich?«,
fragte er mit leiser, kratziger Stimme.
»War es so?«
»Nein«, krächzte er.
»Wie war es dann?«
Herr Grams schloss die Augen und beendete damit das
Gespräch auf die einzige Art und Weise, die ihm noch geblieben war. Seybold
versuchte im Duett mit Kleemann noch mehrmals, eine Melodie anzustimmen, die Elias
Grams aus seiner Blockade lockte, aber dieser entzog sich weiter der Befragung.
SchlieÃlich gaben die Kollegen auf und wir verlieÃen den Raum.
Â
Beim Mittagessen in der Kantine breitete sich Ratlosigkeit
aus. Niemand wurde aus dem Mann und seinem Verhalten schlau. Seybolds Strategie
hatte darauf abgezielt, an den Nerven eines schuldbewussten Täters zu zupfen,
die so gespannt sein mussten
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