Gegen jede Regel
ein paar Notizen. Frau Kling und Frau von Neudeck
verband, dass sie beide auf der Suche waren und dabei auf tragische Weise in
eine Sackgasse abgebogen waren.
»Hat sonst noch jemand von Tobias gewusst? Einer Ihrer
Freunde?«
»Nein, das hat niemand gewusst«, sagte Leah Kling entschieden.
»Ist es jemals auch zu körperlichen Intimitäten zwischen
Ihnen gekommen?«
Frau Kling seufzte bedauernd. »Nein. Ich hatte zu viel
Angst. Jetzt denke ich immer, das war idiotisch. Wem hätten wir denn wehgetan?
Wovor hatte ich Angst? Man lebt nur einmal.« Ihr Blick wurde leer.
»Wo waren Sie am Sonntagabend?«, fragte Nina.
»Zu Hause.«
»Allein?«
»Ja, allein. Ich habe noch Exposés vorbereitet und ins Internet
gestellt. Und ein paar E-Mails geschrieben.«
Aber nicht mit Tobias. Der hatte seine letzte E-Mail am
Sonntag um neunzehn Uhr verschickt.
»Wie lange?«
»Oh, vielleicht bis elf oder halb zwölf«, sagte sie. »Das
weià ich nicht mehr genau. Dann bin ich ins Bett gegangen.«
Dieses Alibi war nicht besser als das von Frau von Neudeck
und in etwa so gut wie das der Schüler. Abgesehen davon glaubte ich nicht, dass
sie Tobiasâ Mörderin war.
Nina lieà das Gespräch in einem kurzen höflichen Geplauder
ausklingen, und nachdem wir den Kaffee ausgetrunken hatten, machten wir uns
wieder auf den Weg ins Präsidium.
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Der Regen verlangsamte den Verkehr, ohne ihn dabei
sicherer zu machen. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Eingang duckten wir uns unter
den herabfallenden Tropfen und schafften es halbwegs trocken wieder in unser
Büro. Wir schüttelten unsere Jacken aus.
Nina sagte: »Uns geht der Schwung verloren.« Sorgenfalten
kräuselten ihre Stirn.
Ich wusste, was sie meinte. Die letzte Befragung, bei der
wir etwas Neues erfahren hatten, war die der Nachbarin gewesen. Weder die
Schüler noch der Informatiklehrer noch Tobiasâ Tante hatten uns etwas
mitgeteilt, was die Ermittlungen vorangebracht hatte. Wenn ich weiter die
potenziellen Richtungen unseres weiteren Vorgehens betrachtete, wurde das Problem
nicht kleiner. Bei den Frauen, mit denen Tobias freizügige E-Mails ausgetauscht
hatte, sagte mir zwar mein Kopf, dass sie verdächtig waren. Bei Tobiasâ Mitspielern
sagte mir mein Bauch, dass dies eine vielversprechende Spur war. Bei den Frauen
sprachen meine Ermittlerinstinkte dagegen, bei den Dominanz -Spielern musste ich rational einräumen, dass es abwegig
war, dass ein erwachsener Mensch sich von einem Spiel zu einem Mord treiben
lieÃ.
»Das ist zu früh«, meinte ich. Wenn eine Mordermittlung
schon am zweiten oder dritten Tag an Schwung verlor, war das erheblich zu früh.
Aber auch wenn ich beschloss, mir deswegen Sorgen zu machen, würde das unser
Problem nicht lösen.
»Vielleicht haben Egon und Marla ja etwas Neues«, meinte
Nina.
»Eine eher vage Hoffnung.«
»Gehen wir essen?«, fragte Nina.
»Ja klar.«
Wir waren etwas früher in der Kantine als am Tag zuvor
und setzten uns an einen Tisch am Fenster. Ob das Grau des Regens oder das WeiÃ
der Wand freundlicher war, blieb dahingestellt. Mangels Alternativen
entschieden wir uns beide für die Gemüselasagne, die relativ erträglich schmeckte.
»Wir haben eine Menge Spuren, aber irgendwie habe ich das
Gefühl, da ist keine davon so richtig heiÃ. Was meinst du?«
Ich nickte. »Genau das gleiche Gefühl habe ich auch.« Und
das war ein Gefühl, über das sich eigentlich nur der Täter freuen konnte. Ich
kam mir bei den Ermittlungen orientierungslos vor, so als würden wir mit guten
Spuren geködert, die uns von der Wahrheit ablenken sollten.
In diesem Moment tauchten Herbert und Nils an der Essensausgabe
auf. Sie hatten automatisch den Weg zum Fenster eingeschlagen. Als sie uns
sahen, änderten sie die Richtung und suchten sich zwei Plätze am
gegenüberliegenden Ende des Raums.
»Die haben wohl genug«, sagte Nina mit einem Seitenblick.
Ich wollte mich nicht über die beiden unterhalten. Mir reichte
schon die Aussicht auf Egon und Marla bei der Besprechung. Wir aÃen schweigend
unsere Teller leer, dann machten wir uns auf den Weg zum Raum elf.
Â
Reinhold erwartete uns mit einem Grinsen im Gesicht.
Das war in Tagen von Serienmördern auf freiem Fuà und einer Schmutzkampagne in
der Presse ein unerwarteter Anblick.
»Was ist
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