Gegen jede Vernunft
dass jeder sich einbildet zu wissen, was ich will oder brauche!“
„Du stehst unter Schock und deshalb argumentierst du impulsiv, aber das bist du nicht, Anna!“ Verzweifelt fuhr Leo sich mit den Fingern durchs Haar. „Um Himmels willen, denk nach . Ich bin absolut nicht das, was du willst!“
„Wie kannst du es wagen?“, zischte sie aufgebracht. „Von der ersten Sekunde an hast du mich herausgefordert, mir gepredigt, mich gegen mein Schicksal aufzulehnen, über mein prüdes Outfit gelästert und mich angeflirtet, oder nicht?“
„Anna …“
„Nein!“, kreischte sie entnervt, „Nein, nein und nochmals nein …“
Auf einmal war ihr alles zu viel. Anna wandte sich ab, rannte aufs Wasser zu und stürzte sich in die kühlen Fluten. Die Schnitte an ihren Füßen brannten höllisch, aber das interessierte sie nicht. Blindlings strebte sie voran, und sobald sie keinen Grund mehr spürte, tauchte sie so tief und lange ab, wie sie nur konnte. Sie wollte einfach nichts mehr sehen, nichts mehr hören und spüren.
Hier unten war es so friedlich und still. Wenn möglich, hätte sie für immer so sanft und schwerelos weiterschweben können. Niemand lachte hämisch, zeigte mit dem Finger auf sie oder heuchelte Mitleid. Alles war …
Plötzlich spürte sich Anna von einer ungeheuren Kraft hochgerissen und in die Welt zurückkatapultiert.
5. KAPITEL
„Bist du verrückt geworden?“, herrschte Leo sie an, kaum dass sie zusammen die Wasseroberfläche durchbrochen hatten.
Seine starken Arme waren wie Eisenklammern. Er hielt Anna fest an seine Brust gepresst, und als sie nach der langen Zeit unter Wasser instinktiv um Atem rang und sich ihre schmerzenden Lungen mit frischer Luft füllten, war es, wie neu geboren zu werden. Aufregend, vibrierend vor Energie.
Anna warf den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Herzen. So fühlte es sich also an, das wahre Leben! Voller Rebellion und wilder Freude am Dasein! Immer hatte sie getan, was andere von ihr wollten, und nie war es genug gewesen. Aber damit war es jetzt vorbei, für immer!
„Anna!“
Leo schüttelte sie hart, während sie beide Wasser traten. Ihre Körper berührten sich im Takt der Wellen und ihrer Beinschläge. Es war, als tanzten sie zu einer unhörbaren Musik. Jede Berührung sandte elektrische Impulse durch Annas Körper. Selbst im kühlen Wasser fühlte sich Leos nackte Haut heiß an ihrer an. Er war so verführerisch nah, so real und …
„Lass mich los, Leo“, kreischte Anna aus Angst, er könnte erraten, was gerade in ihr vorging. Was sie in den letzten Tagen an Scham und Demütigung hatte einstecken müssen, reichte ihr für den Rest ihres Lebens.
Doch er schien sie gar nicht zu hören. „Warum hast du das getan? Dir hätte sonst was zustoßen können! Du …“
„Einfach weil ich es will“, unterbrach sie ihn scharf und reckte trotzig das Kinn vor. „Noch nie habe ich getan, was mir passt. Aber das ändert sich von heute an. Und jetzt lass mich los.“ Mit jedem ihrer Worte hatte sich sein Griff um ihre Taille verstärkt, und Anna musste sich beherrschen, um nicht lustvoll aufzustöhnen.
„Weißt du eigentlich, wie umwerfend du aussiehst, wenn du richtig wütend bist?“
„Hör auf damit!“, rief sie. „Du willst mich nicht, also lass mich in Ruhe!“
„Das habe ich nie gesagt, dass ich dich nicht will, meine ich“, verteidigte sich Leo. „Ich möchte nur nicht die prekäre Situation ausnutzen, in der …“
„Wie kannst du mich ausnutzen, wenn es genau das ist, was ich will?“
Leo presste die Lippen so fest zusammen, dass sich seine Kieferknochen scharf unter der tief gebräunten Haut abzeichneten. In seinen dunklen Augen loderte ein Feuer, das sie wohlig schaudern ließ.
„Der Schock, den du durch die Notlandung davongetragen hast, lässt dich nicht klar denken, Anna. Hast du etwa vergessen, wie vehement du mich auf dem Flug hierher zurückgewiesen hast? Es wäre einfach nicht fair von mir …“
„Lieber Himmel, bist du arrogant!“, unterbrach sie ihn mit flammenden Wangen.
Natürlich hatte sie nichts vergessen, was mit diesem Mann zusammenhing, den sie noch keinen Tag kannte. Aber innerhalb von wenigen Stunden hatte sich ihr Leben komplett verändert. Sie hatte sich verändert und hatte die alte, langweilige, prüde, zaudernde Anna gründlich satt. Viel lieber wollte sie die aufregende, wagemutige Anna sein, die sich etwas traute und nichts bereute … wenigstens für eine Weile.
„Und so sicher, dass du
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