Geh auf Magenta - Roman
gelangweilten Kuratoren, auf die langen Stunden, in denen er sich das Hirn zermarterte, wie denn alles weitergehen könne und ob überhaupt. Bei all dem Gerede über Genialität, an die er aus Überzeugung ohnehin nicht glaubte, war sie in seinen Augen doch nur etwas, auf das man sich gesellschaftlich einigte, das aber nichts mit Talent oder Größe zu tun hatte. Und sein Talent? Im Grunde glaubte er an sein gut sortiertes Mittelmaß, ein Wort, das ihm Angstschauer verursachte. War er das Mittelmaß? Nicht ganz schlecht, aber auch nicht gut genug? War er mittelgut in einem Genre, das per se nur das Besondere und Einzigartige akzeptierte, weil das in der Natur der Sache lag. Und haperte es bereits schon beim Selbstvertrauen zur eigenen Arbeit, wie sollte solch eine Durchsetzungskraft, gegen alle Kritik und Käufermeinungen dann noch aufzubringen sein? Wenn er nun ehrlich zu sich war, fiel ihm nur eine Beschreibung für seine Situation ein: unüberwindlich. Alles, was in seiner Zukunft notwendig und richtig war, fiel darunter, diese Hürde reichte sicher bis zum Mond. Wer hatte einem jemals geraten, Künstler zu werden, wer hatte einem garantiert, damit sein Auskommen zu haben und glücklich zu sein? Wahrscheinlich war es, wie das meiste in seinem Leben, nur aus einer Laune entstanden, aus einer naiven Überzeugung heraus. Jetzt war das Rad aber nicht mehr an den Anfang zu drehen, jetzt hieß es Erfolg oder Gar nichts , und einmal wieder, dass ihm nur das Bodenlose tief genug war.
»Vielleicht muss man mit sich selbst radikaler sein. Man muss zu weit gehen, genau. Und nicht nur seinen Namen ein bisschen verändern«, fügte er etwas bissig hinzu.
»Das war deine Idee, damals«, entgegnete Rob. »Was hast du mir gesagt? Wichmann klingt wie Wirsing und Jedermann, deutschtümelig und ultrabrav. Wenn es nach dir gegangen wäre, hättest du mir noch eine echte Ratte um den Hals gehängt, eine – was war’s? Ein Frettchen, genau, ein Frettchen wolltest du mir umhängen.«
»Süß. Dann hättest du es auch geschafft.«
Bastien schenkte ihm nach. Die Idee mit dem Frettchen war ihm durch Und dann kam Polly gekommen, das hatte er Rob aber nicht gesagt, weil er dann hätte zugeben müssen, dass er sich solche Filme ansah. Aber er erinnerte sich an eine Dokumentation, die am selben Abend ausgestrahlt wurde. »Hast du eigentlich mal von diesem Reeperbahn-Killer gehört?«
»Reeperbahn-Killer?«
»Den gab’s wirklich. Strater, Strömer, Ströher oder so ähnlich. Hat bei seiner Vernehmung zuerst den Staatsanwalt, dann seine Freundin und zuletzt sich selbst abgeknipst. Er hat von einer Albaner-Gang immer Zettel in den Knast bekommen; auf dem ersten stand der Name des Staatsanwaltes, auf dem zweiten der von seiner Freundin und auf dem letzten sein eigener. Und genauso hat er es dann gemacht. Hart, nicht? Eigentlich willst du weiterleben, tust es aber trotzdem.«
In Bastiens Kopf formten sich einige Gedanken, die in ihm eine unterschwellige Begeisterung auslösten; zumindest einen Zustand, den er dafür hielt. »Was ist, wenn’s Kunst wäre?«
»Was? So einen bei der Arbeit zu filmen? Als Killer-Doku? Gibt’s schon, Mann beißt Hund , vergiss es.«
»Das meine ich nicht.«
»Was denn?«
Bastien wartete einen Moment lang mit der Antwort. »Tod als Kunst.«
»Das Thema gibt’s hoch und runter, Altarbilder, Grabsteine, Sensenmänner, apokalyptische Reiter, Requiem –«
»Nein. Den echten Tod als Kunst«, entgegnete Bastien trocken.
»Den echten?«
»Ja.«
»Was denn? Du willst jemanden ausknipsen, dich dann vor die Kamera stellen und sagen: Das war Kunst. Oder wie?«, sagte Rob. »Du spinnst. Der liebe Herr Richter wird dich dann anlächeln und ganz einfach sagen: Nein, mein Herr, es tut mir leid, aber das war keine Kunst, und das war nicht gut, was Sie da getan haben, gar nicht gut, nein, nein, richtig scheußlich sogar, böse, böse, böser Junge. «
»Und wenn’s freiwillig wäre?«, entgegnete Bastien. »Ich meine, wenn ich es wäre?«
Rob verzog sehr deutlich das Gesicht. »Was soll der Mist? Wegen Mel oder was?«
»Du würdest es den Leuten schon erklären, ja?«
»Ich? Was?«
»Das, worum es geht: Tod als Kunstwerk . Und dass ich als verdammt erster Künstler der Welt so etwas mache. Und zwar mit mir selbst.«
»Ich werde gar nichts erklären, weil du das gar nicht machen wirst. Klar? Außerdem bist du besoffen.«
Bastien suchte kurz nach Stift und Papier und kritzelte ein paar unleserliche Sätze.
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