Geh auf Magenta - Roman
Wiederholung ist kennzeichnend für U-ROBS neuen Zyklus ›Berg‹. Dem Postulat Gertrude Steins folgend, generiert er auf eine atemberaubende Weise die Vergleichzeitigung einer sichtbar entgleisten Natur. Gerade die bewusste Entnahme des Faktors Zeit in diesen ebenso bewusst gewählten naiven Motiven verrät uns eine korrelative Doppeldeutigkeit zwischen dem Singulären und dem Vielfachen; es verschmilzt geradezu zu einem neuen orgiastischen Ganzen, das Konzept – Berg.«
»Idiot«, entgegnete Rob.
»Kann’s dir aufschreiben, wenn du willst. Also, du fandest diesen Piz Badus klasse und hast ihn ein paarmal gemalt. Und jetzt?«
»Was jetzt?«
»Willst du es als Serie ausstellen oder nicht? Wenn ja, dann musst du dir etwas einfallen lassen, das ist auch klar«, sagte Bastien.
»Warum? Ich hänge sie einfach zusammen auf, Franco wird etwas dichten, und gut ist es. Da muss ich mir nichts einfallen lassen, die Sache spricht für sich«, erwiderte Rob.
»Und Cézanne?«, fragte Bastien leise.
»Was ist mit dem?«
»Ich sage, dass du dir etwas einfallen lassen musst, mehr nicht. Weil Cézanne einfach das Gleiche gemacht hat. Mit seinem Mont Sainte-Victoire.«
»Das ist doch eine alte Nummer.« Das leichte Stammeln in Robs Stimme war nicht zu überhören.
»Deshalb wird’s ein Verriss, todsicher. Ich glaube auch nicht, dass Franco das ausstellen wird, gerade wegen Cézanne. Und er wird keinen Verriss riskieren, das weißt du.«
»Ich habe dabei überhaupt nicht an Cézanne gedacht«, sagte Rob.
Bastien schüttelte den Kopf. »Liest sich so: Dass die jüngsten Vertreter der deutschen Postmoderne in ihrer Motivwahl nicht gerade zimperlich vorgehen, ist allgemein bekannt. Dass man aber selbst vor einem ostentativen Plagiat ersten Ranges nun auch nicht mehr zurückschreckt, beweist gerade einmal wieder neu der Maler U-ROB in seinem unsäglichen Bilderreigen ›Berg‹. Ohne auch nur einen angebrachten Hinweis auf das Originalwerk Paul Cézannes an die Hand zu geben, wird hier geradezu schamlos dessen Serie ›Mont Sainte-Victoire‹ nachempfunden, besser noch: willfährig kopiert. U-ROB, bürgerlich eigentlich Robert Wichmann, beweist damit auf ein Neues, wie unvertraut ihm wohl eigene innovative Ansätze sein mögen; diese Ausstellung ist schlicht ein Jammertal, ein kunstalpiner Absturz ohnegleichen.«
Er schloss mit einem leichten, rhythmischen Trommeln der Finger auf der Tischplatte, was an den Stechschritt eines preußischen Hinrichtungskommandos erinnern mochte; Rob versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, was gründlich misslang: »Ich hab dabei überhaupt nicht an Cézanne gedacht.«
»Und? Nach solch einer Kritik stehst du nicht mehr auf, das weißt du auch.«
»Ist mir doch egal!«
»Quatsch! Die Dinger sind einfach nur für die Tonne, das ist es!«
»An was soll man noch alles denken? Man kann sich auch verrückt machen.«
»Klar machen wir uns verrückt«, lächelte Bastien. »Stimmt. Genau das ist es. Weißt du, man muss nur ein bisschen schlauer sein als die. Einfach keine Hinweise geben, dann können sie auch keine Schublade ziehen und dich reinstecken.«
»Das schaffst du doch auch nicht«, entgegnete Rob. »Bei dir könnte ich auch zig Schubladen ziehen. Baselitz, vor allem. Oder auch Immendorff. Sag ich ja, wenn man will, kann man sie alle ziehen.«
»Mann, ich hab nichts gegen deine Berge, ich sag nur, dass sie dich dafür guillotinieren werden, mehr nicht –. Wieso Immendorff?«, fragte er langsam.
»Deine Figuren haben so was Comicartiges. Eben wie bei dem.«
»Bin ich so ein Polit-Heini oder was? Vaterland entwurzelt, geteiltes Ländle, jetzt muss die Kunst ran und allen sagen, wie übel es aussieht oder was? Mit Immendorff habe ich nichts zu tun, gar nichts .«
»Schade eigentlich«, unterbrach Rob ihn. »Absolut schade.«
»Was?«
»Dass es die DDR nicht mehr gibt. Ich meine, wir könnten ansonsten da kurz mal antizyklisch einwandern, kommen geschunden zurück und gießen dann unsere ganzen neu gemachten Erfahrungen von übler Entmenschlichung in unsere Bilder. Man wird fragen, ob der Aufenthalt in der Diktatur unsere Arbeit verändert hat, seelisch natürlich, und wir werden sagen, dass wir jetzt für die Menschenrechte malen, so ungefähr.«
Bastien hob das Glas. »Genau. Und deine Berge haben dann auch nichts mehr mit Cézanne zu tun, du verstehst sie mehr als Wellenbewegungen der deutschen Geschichte, nach jedem Gipfel kommt ein Tal, dann wieder ein Gipfel,
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