Geh auf Magenta - Roman
schließlich vor sich auf den Tisch, nur noch ein Piepsen des kleinen Lautsprechers war zu hören. Es klang niedlich, wie aus einem Kinderfilm; er drückte das Handy aus, die Stimme verstummte.
In den letzten Tagen hatte er gedacht, dass sein Leben eine absolute Talsohle erreicht hätte, wohl eine etwas voreilige Vermutung. Er legte sich rücklings wieder hin und fiel in eine selbstverordnete Narkose seines Körpers; wie aus der Ferne hörte er das Handy noch mehrmals klingeln, dann verstummte es schließlich.
Zum Abend hin erwartete ihn dann der ungehemmte Schmerz. Die Vorstellung von einem Mel und Thomas türmte sich vor ihm auf, sein Begriffsvermögen musste sich erst an die Bilder gewöhnen, die sich nun in rascher Reihenfolge abwechselten; Mel und Thomas , sich umarmend, küssend, Mel und Thomas , am Küchentisch, lachend (Thomas auf seinem Platz), Mel und Thomas , Hand in Hand, mit den Kindern spielend, Mel und Thomas , im Bett, sich liebend, nackt, Mel und Thomas im Kreise der (seiner) Freunde, Mel und – er schlug auf den Tisch, für diese Verletzung gab es keine Worte.
Nur noch ablenken.
Er stellte den Rechner an, wieder drehte sich der Kreis und zeigte die Verbindung an: Noch am Leben oder endlich erlöst? – Schwester.
Endlich erlöst. Das war es, nur noch das; endlich erlöst zu sein aus diesem Alptraum ohne Ende, aus diesem Schmerz ohne Worte, er schrieb zurück: Noch am Leben. An sich ein bemitleidenswerter Zustand, das ständige Leiden unter der Gravitation und verklebten Mitmenschen, das Leben selbst gibt keine Antwort auf ein Wie. Es ist besser, die Machete zu nehmen und sich einen Weg durch die Blutbahn zu schlagen. B.
Er stellte den Computer sofort wieder aus, ging zum Kühlschrank, goss sich ein Glas Wein ein und starrte dann eine Stunde lang auf die Flüssigkeit vor ihm. Der Schmerz kam in Intervallen, er kratzte sich am ganzen Körper, rieb sich Hautstellen wund, suchte dann im Badezimmer nach einer Nagelschere, mit deren Spitze er sich leicht in den verletzten Handrücken stach, nur um etwas zu spüren, dachte er, nur etwas spüren; die Beine schienen sich in Pudding zu verwandeln, und er sank in den Sessel, der bereits mit einigen Blutstropfen benetzt war.
Schneid’s dir einfach ab – ganz weg, dachte er wirr und sank tiefer in das Leder, alles kleinschneiden, in Häppchen, so lange, bis nichts mehr wehtut, einfach alles weg.
Wieder hatte sein Körper Erbarmen und ließ eine dämmrige Trance zu – die Tür zum Geschäft öffnete sich leicht, wie geschmiert, eine helle Türglocke läutete dabei, und die japanische Verkäuferin sah ihm freundlich ins Gesicht, einen guten Tag und was er denn wünsche? Da er nicht sofort antwortete, listete sie in schnellen Worten alles auf, also, sie hätten ganz frische Buri da, ebenfalls Ibodai, Anago, Okoze, Masu, Ishigarei, Kochi, Maguro, Kohada, Kisu, Hamu, Hamachi, Gindarar, Chuturo, Hatahata, Awabi, Toro, Unagi, Mutsu, Meji und Inada, auch einige Tonnen an Ebi und Aoyagi, zudem einige Säcke mit bestem Tairagai, alles in einer super Qualität, bitte sehr. Beeindruckt blickte er auf die farbenfrohen Auslagen mit dem Fisch, schnurgerade in klaren Reihen lagen sie dort, mit dem Kopf in Richtung Osten schauend, der aufgehenden Sonne zugewandt; das sei wirklich überwältigend, sagte er und machte dabei einen Diener, so etwas Schönes hätte er wirklich schon lange nicht mehr gesehen, es sei einfach – atemberaubend. Sie strahlte ihn an, ja, die Schönheit sei nun einmal wichtig beim Essen, am besten, es leuchte einem so richtig ins Gesicht und zucke dabei noch ein wenig, genau, es müsse noch zucken, das sei wichtig – ob er sich denn schon entschieden hätte? Das noch nicht, sagte er, wie könne man auch, bei so einer Auswahl, aber eigentlich sei er ja nur für ein simples Sushi gekommen, so ein ganz normales Sushi, sie wisse schon, ein kleingeschnittenes Stückchen Fisch auf einem Klumpen Reis, so in der Art, das habe sie doch sicher auch? Sie nickte eifrig, natürlich, im Grunde sei das ja alles ein Sushi hier, diese Buri, Ibodai, Anago, Okoze, Masu, Ishigarei, Kochi, Maguro, Kohada, Kisu, Hamu, Hamachi, Gindarar, Chuturo, Hatahata, Awabi, Toro, Unagi, Mutsu, Meji und Inada, damit könne man das schönste Sushi der Welt machen, es frage sich nur, auf welche Art er es denn wolle, als Nigiri- oder Maki-Sushi? Das wisse er eben beim besten Willen nicht, lächelte Bastien, ob es denn einen Unterschied gebe? Aber sicher, zwischen den beiden Arten
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