Geh auf Magenta - Roman
übernachten, aber morgen hätte er sich auf Distanz zu halten. Er ließ ihn am Boden liegen und stieg wieder die Treppen hoch. Mel öffnete oben die Wohnungstür und bemerkte die Blutspuren auf seinen Handknöcheln; sie sah ihn fragend an, er habe nur etwas Dreck beseitigen müssen, so die knappe Antwort. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund, das hätte er genau richtig gemacht.
Er wurde früh wach, zu früh für seinen Geschmack, und machte sich den ersten Kaffee. Im Kühlschrank war gähnende Leere, insbesondere war kein Wein mehr da, das bedeutete einen zermürbenden Gang zum Supermarkt. Ein Blick auf Punkt 5 an der Wand erinnerte ihn an Robs Worte vom Vorabend, sich auf dem Markt umzuschauen , das könne sie ruhig mitkriegen, genau, er musste etwas tun. Ein Blick in den Computer zeigte ihm, dass Schwester immer noch nichts geschrieben hatte. Ein weiterer Blick galt dem geschlossenen Fenster, hinter dem es seltsam hell strahlte. Er öffnete es und schaute auf das Weiß vor ihm; in der Nacht hatte es geschneit, und die Welt war unter einer Lage dicker Schneeflocken begraben. Er mochte das, es sah immer nach Foto-Positiv-Abzügen aus, aus Hell wurde ein Dunkel und umgekehrt. Ganz wie sein Leben derzeit, dachte er, alles schien sich in sein Gegenteil zu verkehren. Ein seltsames Gefühl, das ihn auch daran erinnerte, dass Weihnachten vor der Tür stand. Und damit der Heiligabend, den sie immer im Kreis von Freunden verbracht hatten. Er fragte sich, was für einen Negativ-Heiligabend er in diesem Jahr erleben würde.
Ein weiterer Kaffee, noch ein Blick in den Computer, nichts. Also das Telefon.
Die Kontaktliste.
Nach einigem Überlegen beschloss er, mit Sonia anzufangen. Es klingelte lange, bis sie sich schließlich meldete. Das sei ja unglaublich, sagte sie, genau in diesem Augenblick hätte sie an ihn gedacht, wie Telepathie sei das, wirklich unglaublich. Wie es ihr ginge, fragte Bastien, und sie antwortete überschwänglich, total super, außer natürlich, dass es hier so saukalt sei, da würde sie Thailand wirklich vermissen. Er konnte ihr natürlich nichts von Mel erzählen, hatte er ihr seine Ehe vorher doch als äußerst brüchig und kaum noch existent beschrieben, also berichtete er, dass er jetzt ins Atelier gezogen sei, sie wüsste ja, zu Hause herrsche schon eine ziemlich stickige Atmosphäre, da wäre es hier doch besser und freier. Und generell denke er daran, jetzt ein neues Leben zu beginnen. Es wäre wirklich an der Zeit gewesen, diesen Cut zu machen. Sie stimmte zu, wenn die Liebe vorbei sei, bliebe eben nur dieser Körper übrig, so ein Gemisch aus Haut und Wölbungen, Knochen, Haaren, nichts Tolles eigentlich, nein, man müsse schon lieben, sonst hätte es keinen Sinn. Bastien dachte kurz an ihre Wölbungen und nahm den Körper in Schutz, sicher, das Gefühl sei das Wichtigste, aber es gäbe ja auch noch Begierde, und die wäre nun einmal durch den Körper gesteuert, das Äußere sorge, so gesehen, also korrelativ für ein Inneres. Sie musste einen Moment lang überlegen, war dann aber skeptisch, nein, das wäre davon unabhängig, man würde schon das Wesen als solches lieben, diese Aura eben, Chakren, diese Dinger, von denen die alten Inder immer gesprochen hätten, das sei etwas sehr Greifbares, man dürfe das nicht mit einer einfachen Körperlichkeit verwechseln. Da Bastien nun nicht mehr wusste, über was sie sich eigentlich unterhielten, fragte er nach ihren Plänen für die nächsten Tage, was mit dem Dry sei? Das sei eine tolle Idee, sagte sie, im Dry wäre sie auch noch nie gewesen, aber leider, leider sei sie schon verabredet, nicht nur heute, im Prinzip eigentlich schon die ganze Woche; OK, sie hätte es ja eigentlich noch nicht sagen wollen, aber bei ihm mache sie jetzt eine Ausnahme. Sofort nach ihrer Ankunft hätte sie Acun wieder getroffen, er wisse ja, der Banker aus Istanbul, von dem sie ihm erzählt hatte. Bastien nickte düster, richtig, sie hatte ihm von einem reichen alten Sack erzählt, der sie dauerhaft anbaggern würde und ihr damit fürchterlich auf die Nerven ging. Kurz und gut, sie wäre jetzt mit ihm zusammen, das sei zwar irgendwie ungewohnt, aber bestimmt eine richtige Entscheidung, eine Sache des Herzens eben; von daher müsse sie mit Verabredungen jetzt etwas sparsam umgehen, zumal Acun auch sehr eifersüchtig sei. Natürlich verstünde er das, sagte Bastien, auch wenn er dann durchklingen ließ, dass dieser Banker ja schon weit über die Sechzig sei und ob sie das,
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