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Geh auf Magenta - Roman

Geh auf Magenta - Roman

Titel: Geh auf Magenta - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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wäre es eben Zufall, dass ein Stern zu einer bestimmten Zeit genau auf einen anderen treffen würde; der geriete dann eben aus seiner Umlaufbahn und treffe wieder auf einen anderen und so weiter, das sei ja das Chaos, oder eben das System, am Ende wären es doch nur zwei unterschiedliche Worte für ein und dasselbe. Man müsse nur in den Himmel schauen, da könne man alles sehen, was hier, auf der Erde, genauso gelten würde.
    »Na ja –«
    »Doch, ganz sicher. Ist immer das gleiche Prinzip. Wir wissen nur nicht, warum es das Prinzip gibt. Aber sonst ist alles klar.«
    Die Sendung begann wieder, er drehte den Ton lauter und bog in die Straße, an deren Ende Bastiens Atelier lag. Mel stieg aus und blickte einen Moment lang am Gebäude hoch, ein vertrauter Anblick. Etwas zögerlich zündete sie sich eine Zigarette an – man müsse nur in den Himmel schauen, da könne man alles sehen, was hier, auf der Erde, genauso gelten würde ; ein Unsinn, dachte sie, so wie das meiste Unsinn war, Bastiens fingierter Unfall, Venus, Erde, Mars und Jupiter, Thomas’ teure Weinflaschen in ihrer Tasche, die Tatsache, dass sie hier jetzt überhaupt stand. Der Unsinn schien sich wie eine rasselnde Blechdosenschnur durch das Leben aller zu ziehen, es klapperte an allen Enden, immer lauter, ohne einen erkennbaren Sinn; der einzige Gehalt zeigte sich in der schleifenartigen Wiederholung dieses blinden, atemlosen Spiels, das sich Anfang und Ende zugleich war, das sich in der einfachen Anwesenheit einer gnadenlosen Oberflächlichkeit gänzlich genügte. Deshalb der Unsinn, deshalb Venus, Erde, Mars, Jupiter und Thomas’ Weinflaschen für Bastien. Sie sah wieder am Gebäude hoch. Der vierte Stock, neunzig Stufen. Sie zerdrückte die Zigarette auf dem Asphalt, blickte lächelnd auf Bastiens demoliertes Fahrrad an den Mülltonnen am Eingang und ging hinein. Oben angelangt, dauerte es eine Weile, bis er öffnete.
    »Du bist also mit vierzig auf den Bus geknallt, so schnell?«, fragte sie besonders ungläubig.
    »So ungefähr«, sagte er. »Komm rein.«
    Er sah ihr hinterher, als sie eintrat, zum Kühlschrank ging und den Salat dort verstaute; sie sah gut aus. Sehr gut, dachte er und nahm ihre vertrauten Bewegungen wahr. Auch wehmütig – wie hatte er das jemals nicht zu schätzen gewusst, wie hatte er das hier zulassen können? Er musste sich zusammenreißen, sie schien das zu merken: »Hast du noch Schmerzen?«
    »Habe Tabletten genommen, es geht.«
    Sie sah sich kurz um. »Ist es nicht zu kalt hier, so auf die Dauer?«
    »Es geht schon.«
    »Und die Halskrause passt noch?«
    »Wieso – noch?«
    »Es hätte ja sein können, dass es die vom letzten Mal ist«, sagte sie.
    Er erkannte die leichte Ironie in ihrem Satz nicht und erzählte vom Krankenhaus, von den unterschwelligen Andeutungen der Ärzte und wie er sich schließlich durchgesetzt hätte, damit er nicht dortbleiben musste. Der Bericht fiel derart detailliert aus, dass Mel sich einen Moment lang fragte, ob an seiner Geschichte vielleicht doch etwas dran sein könnte; dagegen sprach allerdings der Geruch von Acrylfarbe, den sie an den Verbänden riechen konnte, auch hätte eine Krankenschwester nicht gerade Büroklammern für die Mullbinden verwendet und diese auf links gewickelt. Er stockte schließlich in seinen Erzählungen, als sie ungefragt eine Flasche Wein öffnete und ihm ein Glas reichte. »Ich hoffe, der Arzt hat dir das nicht verboten?«
    Sie tranken und schwiegen.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie dann leise. »Ich meine nicht den Unfall.«
    Er legte ein Bein hoch und verzog dabei etwas die Miene. »Ganz gut. Ich mache hier eben mein Ding. Vorbereitungen und so.«
    »Das ist gut.«
    Sie schwiegen wieder.
    Er sah, wie sie den Stiel ihres Glases mit den Augen fixierte.
    Sie sah, wie er sie aus den Augenwinkeln heraus musterte.
    Im Treppenhaus machte jemand das Licht an.
    Ein Auto fuhr auf den Hinterhof.
    Im Treppenhaus hustete jemand.
    »Wir führen jetzt beide ein anderes Leben. Jeder muss sich daran gewöhnen«, sagte sie.
    »Ich führe kein anderes Leben. Nur du.«
    Sie blickte wieder lang auf den Stiel des Glases, sah ihn dann herausfordernd an. »Nein. Ich kenne dich doch. Wenn auch noch nicht jetzt, so wirst du bald ganz anders leben. Mit dieser Blonden oder sonst wem.«
    Er zwang sich, nicht zu antworten; es ging hier um Größe und Disziplin.
    »Oder?«, fragte sie.
    »Es gibt keine anderen Frauen, das weißt du auch.«
    »Weiß ich das? Nach dem, was ich alles

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