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Geh auf Magenta - Roman

Geh auf Magenta - Roman

Titel: Geh auf Magenta - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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nach den Schlingpflanzen und zog sich wieder Meter um Meter an der Wand empor, entdeckte das Seil, das noch an derselben Stelle hing, und erreichte schließlich den Kraterrand. Bereits von dort rief er nach Mila, aber es kam keine Antwort, das beunruhigte ihn noch mehr. Er fiel keuchend vor Anstrengung ins Gras, in der Lunge verspürte er einen stechenden Schmerz, und er rang nach Atem, schließlich öffnete er die Augen. Vor ihm bot sich ein Bild des Grauens.
    Der Boden war mit den Leichen seiner Leute übersät. Sie wiesen große Wunden auf, von Macheten oder Äxten beigebracht. Die Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er auf die Leichen sah, manche waren bestialisch verstümmelt, einige sogar angenagt, ihre Augen blickten starr in den Himmel. Wie betäubt lief er durch die Toten und suchte nach Mila, sie war nirgendwo zu sehen.
    Diese Eingeborenen waren alles andere als vergessen. Wahrscheinlich waren sie ihnen die ganze Zeit über gefolgt und hatten nur den richtigen Moment abgewartet: dass er in den Krater stieg und nicht zur Stelle war.
    Er studierte noch einmal die Gesichter der Toten. Neben dem von Mila konnte er auch das von Tom nicht ausmachen, sie schienen ihn ebenfalls verschleppt zu haben. Vor sich sah er nun deutliche Spuren von sechzig oder siebzig Fußabdrücken. An einem Strauch flatterte ein weißes Stück Stoff, es stammte von Milas Bluse; er verspürte jetzt eine kalte Wut und umgriff seine Machete, diese Kerle würden ihn kennenlernen. Die Spuren wiesen den Weg zurück, in Richtung des Urwalds. Mit wenigen Griffen hatte er wieder das Seil geschultert und lief los, spätestens am nächsten Tag würde er sie erreicht haben.
    »Bastien?«
    Und dann –
    »Hallo, Bastien?«
    Er murmelte ein Ja? in das Handy und wollte es schon wieder weglegen, dann merkte er, dass das Per Frings’ Stimme war. Sofort stand er aus dem Sessel auf und stammelte, möglichst diszipliniert: »Per, Mensch, toll, dass du anrufst. Ich hatte geschlafen.«
    »Schon gut. Wie geht es dir, mein Lieber, was macht das Projekt?«
    Frings war einer von Bastiens Sammlern, er lebte in Köln und hatte ihm seinerzeit einen Vorschuss für ein Projekt überwiesen. Über den Inhalt hatte Bastien sich vorerst noch, wie er sagte, in Schweigen gehüllt – es gab kein Projekt, dieses Geld brauchte er für seine Thailand-Reise. »Das macht sich. Ich hab da ein paar Drähte, das sieht gut aus, für dein Geld brauche ich nur noch –«
    »Sehr gut, Bastien, das freut mich für dich«, unterbrach Frings ihn leise. »Nimm dir ruhig noch etwas Zeit. Wir hatten bis zum Jahresende gesagt, das sind ja noch ein paar Tage.«
    Bastien schwieg kurz und dachte daran, wo um alles in der Welt er binnen einer Woche das Geld herbekommen sollte.
    »Du schaffst das doch sicher?«
    »Ich –«
    »Ansonsten musst du einfach mit mir sprechen«, sagte Frings wieder sehr leise. »Wir haben solche Dinge doch immer vernünftig geregelt. Oder, Bastien?«
    »Natürlich, Per.«
    »Sehr gut«, sagte Frings. »Dann verlasse ich mich auf dich.«
    »Wie geht’s Monika?«, versuchte Bastien abzulenken.
    »Nun, es geht. Sie hat jetzt Milas Adresse herausgefunden, in Berlin übrigens, und ihr ein paar Briefe geschickt. Es gab keine Antwort.«
    »Keine Antwort? Das ist hart, wirklich. Ich meine, zumindest eine Antwort könnte sie schicken, das wäre schon fair«, sagte Bastien.
    Frings schwieg. Bastien kannte diese Pausen während der Gespräche mit ihm, aber sie irritierten ihn immer noch. Schließlich kam die Antwort: »Was ist schon fair im Leben? Die Menschheit besteht aus aneinandergereihten Egoismen, man verfolgt rein die eigenen Interessen. Jeder weiß das.«
    »Berlin, sagst du? Soll ich mich mal kümmern?«, fragte Bastien.
    »Nein. Es regelt sich, du wirst damit nichts zu tun haben«, sagte Frings bestimmt. »Aber bei der Gelegenheit wäre es interessant, deine neuen Arbeiten zu sehen. Du warst doch sicher produktiv?«
    »Klar.«
    »Und auch die Entwürfe des neuen Projektes?«
    »Ja, klar.«
    »Sehr gut. Dein Fleiß gefällt mir. Ich könnte es mir bald ansehen. Im Januar, nach Neujahr.«
    »Du willst kommen?«
    »Sicher. Berlin ist doch immer eine Reise wert.«
    Bastien wurde abwechselnd heiß und kalt, nicht nur, weil er keinerlei neue Arbeiten vorzulegen hatte, geschweige denn das geliehene Geld, sondern vor allen Dingen auch wegen Frings selbst. Dessen Fragen zu den Konzepten seiner Arbeit gingen stets derart in die Tiefe, dass er Tage der Vorbereitung dafür

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