Geh auf Magenta - Roman
Entweder wären diese Leute unsäglich dumm oder sich ihrer Sache einfach nur sicher, ganz cool, sagte Steilmann.
Bastien war von so viel Abgeklärtheit beeindruckt, aber der nächste Satz beunruhigte ihn dann doch, einer der Erschossenen sei ein Soldat gewesen, das könnte die Sache komplizieren, sie würden jedoch hoffen, dass das Militär sich aus der Sache heraushalte, man hätte dort altertümliche Vorstellungen von Blutrache; manchmal würden diese Leute ihre Opfer in Stücken, in Plastiktüten verpackt, wieder zu den Angehörigen zurückschicken. Bastien hörte wieder die Tastatur, das Gespräch kam ihm seltsam irreal vor. Aber er solle sich jetzt nicht zu viel Sorgen machen, sagte Steilmann, er hätte einmal einen Fall gehabt, im Sudan, wo sich Entführte während ihrer dreimonatigen Gefangenschaft ineinander verliebt hätten. Sie durften in dieser Zeit nicht einmal miteinander reden, kein Wort, trotzdem hätte es gefunkt. Sofort danach hätten sie geheiratet und ihn gebeten, der Trauzeuge zu sein, das wäre wirklich rührend gewesen. Also, wie er sehe, würde man sich schon Mühe geben. Und im Übrigen könne er ihn verstehen, fügte er hinzu, die Situation sei bestimmt nicht beneidenswert. Sobald Freunde im Spiel wären, käme einfach eine zweite Ebene hinzu, man verlöre nicht nur die Frau, sondern den Freund gleich mit und würde somit einen doppelten Schmerz erleiden, das sei schon unmenschlich, kaum zu ertragen. Man könne das nicht so einfach vergessen, dieses Vertrauen mit einem Menschen, über Jahre, und dann kämen diese Bilder; der Freund mit der eigenen Frau, im Bett, mit den Kindern, mit den gemeinsamen Freunden, das sei eine Tortur. Man müsse dann einfach nur nach vorne schauen, das sei das Beste. Im Übrigen habe er, Bastien, sich wirklich verhalten wie ein Held. Trotz allem noch so loyal zu seinem Kontrahenten zu sein, das wäre schon außergewöhnlich, schließlich hätte er ihn eben ja auch ans Messer liefern können, ein Satz hätte genügt.
»Meinen Sie das im Ernst?«, fragte Bastien.
»Natürlich nicht«, sagte Steilmann, die Wahrheit käme immer heraus, und man würde schon auf die Bürger aufpassen, keine Sorge. Gut, man würde sich jetzt der Sache annehmen und ihn informieren. Nach einigen weiteren guten Wünschen legte er auf.
Bastien öffnete sofort die Google-Seite im Netz und gab die Stichwörter Auswärtiges Amt und Steilmann ein, es standen unzählige Hinweise zum Ministerium zur Verfügung; nach einigen Minuten wurde er bei einem veröffentlichten Protokoll fündig – Götz Steilmann, leitendes Mitglied im Krisenstab des Auswärtigen Amtes etc. Er klickte die Rubrik Bilder an, die Auswahl bot eine Reihe Portraits von Steilmann. Er war dick, hatte ein rötliches Gesicht, und seine Augen schimmerten kaum sichtbar durch eine Hornbrille. Es war also kein Scherz, diesen Götz Steilmann gab es wirklich und damit auch das Problem mit Mel im Jemen, nein, es gab das Problem mit Thomas im Jemen. Nervös trommelte er mit den Fingern auf dem Tisch, ging dann zum Rechner und gab Deutsche Botschaft in Sanaa ein, ein Adressfeld erschien. Kurz entschlossen wählte er die Telefonnummer. Eine Frau mit einem leichten Akzent fragte nach seinen Wünschen, hörte ihm schweigend zu und verband ihn mit einen Moment bitte weiter. Schließlich meldete sich eine Männerstimme, worum es denn ginge? Bastien fragte nach Mel, ob er sie sprechen könne, die Stimme antwortete in knappen Sätzen, darüber dürfe man am Telefon keine Auskunft geben, man wisse ja gar nicht, wer er denn sei, und könne das nicht überprüfen, bei derartigen Fragen habe er sich an die Behörden in Deutschland zu wenden. Dann ein Knacken in der Leitung.
Wieder trommelte er mit den Fingern, wählte dann Thomas’ Durchwahl in der Firma; Katharina, seine Sekretärin, meldete sich. Bastien kannte sie von seinen vielen Besuchen bei Thomas recht gut. Als sie seine Stimme erkannte, schwieg sie zuerst verblüfft; er fragte, ob sie im Bilde sei.
»Bastien, ich weiß das, sicher, es tut mir auch leid für dich. Es hat mich genauso überrascht.«
»Was?«
»Aber es ist ja seine Privatsache, verstehst du? Irgendwann kam er hier reingeflogen, gab uns allen einen Kuss und sagte, er habe jetzt seine Traumfrau gefunden. Das freute natürlich jeden, bis er dann sagte, sie heiße Mel. Deine Mel eben. Ich meine, was soll man da noch sagen? Das tut mir wirklich leid, aber ich –«
»Katharina, das meine ich nicht. Weißt du, was passiert
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