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Geh Ich Auf Meine Hochzeit

Geh Ich Auf Meine Hochzeit

Titel: Geh Ich Auf Meine Hochzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Kelly
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besser als die meisten anderen Dozenten. An jenem Tag hatte er einen modischen Anzug über einem kragenlosen Hemd getragen. Entspannt saß er auf einem tiefen Stuhl und blickte in Richtung der jungen Leute und nicht auf die Diashow in seinem Rücken. Damit vermittelte er das Gefühl, er kenne das hinter sich projizierte Kunstwerk in- und auswendig und müsse es gar nicht mehr betrachten. Dann lächelte er sie an. Es war ein warmes Lächeln, als ob sich nur sie beide und sonst niemand in dem Raum befänden, als ob sie eng und tief befreundet wären, nicht wie ein Dozent und seine verspätete Studentin.
    »Dann musst du nachher etwas länger bleiben, damit wir schauen, was du verpasst hast und wie du es wieder aufholen kannst«, meinte er leichthin.
    »Selbstverständlich«, keuchte Cara und bahnte sich den Weg zu ihrem Platz. Nach dem Sprint von der Bushaltestelle war sie vollkommen außer Atem und glücklich darüber, dass sie so leicht mit ihrer Verspätung davongekommen war. Nach der Stunde noch etwas länger zu bleiben schien ihr ein Klacks. In St. Agatha hätte eine Verspätung von zehn Minuten eine Gardinenpredigt des Klassenlehrers bedeutet und zusätzlich noch eine Strafarbeit von vier Seiten über irgendein Thema. In der kleinen Klosterschule wurde Pünktlichkeit als fast ebenso wichtig angesehen wie Sauberkeit, und die wiederum hatte fast so einen Stellenwert wie die Heiligkeit selbst.
    Erleichtert fragte sie sich in ihrer Naivität nicht, weswegen ein Dozent sich überhaupt Gedanken darum machte, wenn ein neuer Student im ersten Jahr die ersten zehn Minuten seiner Vorlesung verpasste. Cara kramte ihren Schreibblock hervor und begann sich Notizen zu machen.
    Sie liebte das Fach Kunstgeschichte. Viel detaillierter als der Unterricht in der Oberstufe war der Lehrplan der Grundkurse im Slaney College unglaublich facettenreich und tief greifend. Herrn Theals Vorlesungen über französische Malerei im achtzehnten Jahrhundert hatten sie umgehauen. Wenn Theal mit tiefer Baritonstimme Geschichten über Jacques Louis David zum Besten gab, dann fanden diese gleichsam live statt und verliehen den auf den Dias gezeigten Gemälden mehr Lebendigkeit, als es Schwester Concepta jemals zu vermitteln wusste.
    Kaum dass Cara es sich versah, war die Vorlesung vorbei. Als sie ihren Notizblock in die Tasche stopfte und in Gedanken bereits bei der nächsten Stunde war, hätte sie ihre Verspätung um ein Haar vergessen und wäre nicht länger geblieben. Owen Theal aber hatte es nicht vergessen.
    »Cara«, sagte er mit seidiger Stimme, als sie an ihm vorbeilief. »Wir müssen miteinander reden.«
    »Ja, richtig«, erwiderte sie und ärgerte sich - einen unverschämten Eindruck wollte sie keinesfalls machen. »Das habe ich ganz vergessen.«
    »In fünf Minuten fängt die Hauptvorlesung an«, warnte sie einer ihrer Mitstudenten, ehe er den Raum verließ.
    »Überall ist Hektik, Hektik, Hektik«, meinte Owen Theal, lehnte sich hinter seinem Pult zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war der Inbegriff von Entspannung, ganz Herr der Lage. »Geh ruhig zu deinem Professor, Cara«, meinte er belustigt. »Er hasst es, wenn man zu spät kommt.«
    Sie errötete.
    »Aber ich würde mich gerne heute noch mit dir unterhalten. Du bist eine der vielversprechendsten Studentinnen, die wir in diesem Kurs haben, und ich möchte nicht, dass du die Sache schmeißt. Es würde mir Spaß machen, dein Talent zu unterstützen. Darf ich das, Cara?«
    Er sah sie mit seinen dunklen Augen durchdringend an. Gepeinigte Künstleraugen, dachte sie. Wie ein Märtyrer auf einem Gemälde von El Greco!
    »Komm heute Nachmittag in mein Büro«, ordnete Owen an. »Um halb fünf.«
    Talentiert hatte er gesagt? Seine schmeichelhaften Worte schwirrten ihr wie ein Schwärm sommerlicher Mücken im Hirn herum, und sie eilte beschwingten Schrittes den Gang entlang. Eine der vielversprechendsten Studentinnen› die wir in diesem Kurs haben, und ich möchte nicht, dass du aus irgendeinem Grund die Sache schmeißt...
    Seit jeher hatte sie die Kunst geliebt. Und nun sagte ihr dieser Experte, dass sie Talent besaß und dass sie es in ihrem Fach zu etwas bringen würde! Sie konnte kaum erwarten, Evie das alles zu erzählen. Es war Schwindel erregend und machte sie euphorisch, besonders nach dem schrecklichen Jahr, in dem sie einen ihr verhassten Sekretärinnen-Kursus belegt hatte. Nun fühlte sie sich endlich bestätigt. Ihre Schwester hatte sie sanft in Richtung der

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