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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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sein schien. Sogar seine Haare wirkten sauber, als hätte er sie sich gerade erst gewaschen. Sie gaben sich nicht die Hand, das hatten sie ja schon getan, sie begnügten sich damit, einander zuzunicken. Obwohl Ariel nüchterner aussah als am Vortag, merkte Jouni dennoch, wie mitgenommen und hohläugig er war, um seine Augen lagen tiefe schwarze Ringe. Plötzlich klingelte ein alter Satz in Jounis Ohren, er kam wie aus dem Nichts, und er hörte sich selbst die Worte aussprechen: Ich werde dich beschützen . Sein Gedächtnis wirbelte fünf oder auch zehn Sekunden lang durch die eigene Geschichte, dann fiel ihm wieder ein, wann er das gesagt hatte: an einem eisig kalten Novemberabend, als er Ariel davor bewahrt hatte, von Repe Paldanius verprügelt zu werden.
    Hier saßen sie nun, und er war nicht mehr in der Lage, Ariel zu schützen. Hatte er das eigentlich jemals gekonnt?
    »Was zum Teufel st-starrst du denn so?«, fragte Ariel. »Ich bin doch kein Gespenst.« Er schien jedoch nicht beleidigt zu sein, denn er sprach in einem zufriedeneren Ton weiter: »Ich war im Sturebad. Die erste Dusche seit zehn Tagen. Ich hab im Moment nichts, wo ich kampieren kann.«
    »Kampieren?«, fragte Jouni.
    »Übernachten, Finnenteufel. Das sagt man hier so«, antwortete Ariel heiter. Dann schaute er sich in dem fast leeren Lokal um, lehnte sich zu Jouni vor und erläuterte mit leiser Stimme: »Im Moment ist es hart. Ich war sonst immer bei Hullu-Hurme, er hat eine Zweizimmerwohnung draußen in Bandhagen, aber Hurme und einige andere sind vor ein paar Wochen geschnappt worden. Sie sitzen im Knast, und die Polizei hat die Bude versiegelt. Also trage ich alles, war ich habe, bei mir.«
    Jouni deutete auf die weiße Tüte, aus der eine schmutzige Jeans und eine Reihe anderer Kleidungsstücke herauslugten. »Eine verdammt hässliche Tüte hast du da.«
    »Das ist eine Plastiktüte«, erwiderte Ariel. »Der letzte Schrei, jeder benutzt sie. Kosten nichts, sehen beschissen aus, aber halten mindestens zehn Pullen Bier aus.« Er demonstrierte die Haltbarkeit der Tüte, indem er sie an ihrem Griff hin und her schwenkte.
    Er hat sich verändert, dachte Jouni. Benutzt Wörter wie »kampieren« und »Pullen«. Wirkt fast selbstbewusster als früher, obwohl seine Augen so müde sind.
    »Was gibt’s Neues zu Hause?«, erkundigte sich Ariel plötzlich und aus heiterem Himmel.
    »Ich habe mit Lydia gesprochen«, sagte Jouni.
    »S-so, so«, sagte Ariel. »Und wie geht es ihr?«
    »Sie hörte sich gut an«, antwortete Jouni. »Richtig gut.«
    Ariel sagte nichts, saß nur da und glotzte vor sich hin, den Gitarrenkoffer und die weiße Plastiktüte zu seinen Füßen.
    »Willst du auch eine Cola?«, fragte Jouni. »Oder etwas anderes? Ich lad dich ein.«
    »Nee, ich brauch nichts«, antwortete Ariel zerstreut.
    »Schick ihr mal eine Karte«, sagte Jouni. »Sie ist immerhin deine Mutter.«
    »Mache ich, mache ich«, sagte Ariel. »Und sonst? Hast du Addi gesehen?«
    »Nur einmal«, sagte Jouni. »Im Kellarikrouvi Anfang des Sommers. Sie war mit Stenka da. Ich habe am frühen Abend mit ihr gequatscht, so habe ich erfahren, dass du abgehauen bist.« Er verstummte, spürte, dass er nicht mehr sagen wollte.
    Aber so einfach ließ Ariel ihn nicht davonkommen, er sagte: »Und?«
    »Na ja, ich glaube, dass …«, setzte Jouni widerwillig an, fing noch einmal neu an und sagte: »Am späteren Abend saß sie an der Theke und hatte Striemen im Gesicht, sie hatte bestimmt wieder geflennt.«
    »Und du«, sagte Ariel, »du bist nicht z-zu ihr gegangen und …«
    »Nee«, erwiderte Jouni. »Ich war selber ziemlich blau und wollte gerade nach Hause. Und du weißt ja, am Ende, wie sie und ich …« Er verstummte erneut, sah Adriana vor sich und dachte, was er schon mehrfach gedacht hatte: schwach . Addi und Ari waren seine engsten Freunde gewesen, vielleicht waren sie es noch, vielleicht waren sie jetzt, da er kurz davorstand, Terhi zu verlassen, sogar seine einzigen wahren Freunde. Aber sie waren so furchtbar schwach. Wie kam es, dass er sich solche Freunde gesucht hatte? Er starrte Ariel an und hörte selbst, dass seine Worte unnötig streng klangen:
    »Sie ist nicht leicht zu … da ist was in ihr, was nicht zusammenhält, das weißt du genauso gut wie ich.«
    Ariel wich seinem Blick nicht aus. »Ich finde trotzdem, d-du hättest zu ihr gehen und mit ihr r-reden können«, sagte er ernst.
    Ariels Worte waren Jouni unangenehm, und er suchte nach einem anderen

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